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Kultur - 19.05.2019

„Fassbinder hat gezeigt, was Kino sein kann“

Seit 2018 ist Ellen Harrington Chefin des Frankfurter Filmmuseums. Jetzt kommt mit dem „Fassbinder Center“ eine wichtige Institution hinzu. Was sie an Fassbinder so schätzt, erzählt die US-Amerikanerin im DW-Interview.

Es gebe ein paar Namen von Regisseuren, die sich tief eingegraben haben bei ihren Landsleuten, wenn es um das Kino außerhalb der USA nach dem 2. Weltkrieg geht, Fassbinder nehme da einen herausragenden Platz ein, erzählt Ellen Harrington. Sie muss es wissen. Seit Januar vergangenen Jahres steht Harrington dem „Deutschen Filminstitut & Filmmuseum“ (DFF) vor. Zuvor war sie lange dort, wo für viele Menschen auf der Welt das Herz des Kinos schlägt: in Los Angeles und Hollywood.

Seit 1993 arbeitete die Amerikanerin bei der „Academy of Motion Pictures Arts and Sciences“, die alljährlich die Oscars verleiht. Später stand sie an der Spitze des geplanten Museums der Academy, das noch in diesem Jahr eröffnet werden soll. Harrington hat rund 50 Ausstellungen zum Thema Kino und Film kuratiert.

Rainer Werner Fassbinder: auch im Ausland wertgeschätzt

Seit eineinhalb Jahren nun steht der deutsche Film im Fokus Harringtons. Am Montag feiert das DFF 70-jähriges Bestehen, Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird erwartet. Doch wichtiger als die Jubiläumsfeierlichkeiten wird dann die zeitgleiche Einweihung des neuen „Fassbinder Centers“ sein.

Ellen Harrington neben dem größten Schatz des Fassbinder-Archivs: den handgeschriebenen Unterlagen des Regisseurs

Rainer Werner Fassbinder ist für viele Filmhistoriker der wichtigste deutsche Regisseur der Nachkriegszeit. „Der Name Fassbinder als Regisseur des 20. Jahrhunderts ist wirklich ein Begriff“, sagt Harrington, „in der ganzen Welt, speziell aber auch in den USA. Fassbinder und seine Filme haben immer starke Reaktionen ausgelöst, vor allem in New York.“ Damit spielt Harrington auf die bahnbrechende Fassbinder-Retrospektive im Museum of Modern Art im Jahr 1997 an.

Der deutsche Regisseur stehe seitdem in den Vereinigten Staaten, zumindest beim kulturinteressierten Teil der amerikanischen Öffentlichkeit, im Fokus. Harrington verweist in diesem Zusammenhang aber auch auf große Fassbinder-Retrospektiven in anderen Ländern, auf die umfassende Werkschau der Cinémathèque française in Paris im vergangenen Jahr oder die große Filmschau in Australien: „Der Name Rainer Werner Fassbinder ist weltweit eine Marke, es gibt überall vielfältige Aktivitäten, sein Werk auch digital für die Zukunft zu sichern.“

Fassbinder steht neben Günter Grass, Gerhard Richter und Joseph Beuys

Das mag manchen in Deutschland überraschen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) wies im Vorfeld der Eröffnung des „Fassbinder Centers“ auf dieses Missverhältnis in der Wahrnehmung hin: „Dass er als eminenter Künstler Nachkriegsdeutschlands anerkannt wurde, der für das Land nicht weniger wichtig war als Beuys oder Richter oder Grass, wenn auch deutlich ungemütlicher, das geschah (…) erst mal nicht in Deutschland, nicht in Frankfurt, sondern in New York.“ Spätestens mit der großen MoMA-Retrospektive 1997 sei sein internationaler Rang unbestritten, so die FAZ.

Akten, Akten, Akten: Das „Fassbinder Center“ wertet das analoge Zeitalter aus

Auch wenn Fassbinder in Deutschland in Expertenkreisen natürlich kein Unbekannter ist, so sind manche seiner Filme doch ein wenig in Vergessenheit geraten. Das hat natürlich auch mit dem frühen Tod Fassbinders 1982 zu tun. Er starb mit 37 Jahren und hinterließ ein unfassbar großes Werk. Anders als bei seinen Weggefährten Volker Schlöndorff, Werner Herzog und Wim Wenders kann das Œvre des 1945 im bayrischen Bad Wörishofen geborenen Regisseurs als abgeschlossen gelten.

Oder etwa doch nicht? Das nun seine Pforten für die Wissenschaft und alle anderen Film-Interessierten öffnende „Fassbinder Center“ wird daran sicher etwas ändern. Fassbinders Filme sprächen insbesondere auch heutige, nachwachsende Generationen an, ist Ellen Harrington überzeugt: „Weil Fassbinders Filme so direkt und so roh waren, auch so ehrlich.“

Fassbinders Filme haben eine besonderen Ästhetik

Seine Figuren hätten gesprochen, wie richtige Menschen, schwärmt die Direktorin des DFF. „Fassbinders Geschichten sind unglaublich dynamisch und expressiv erzählt, deshalb glaube ich, dass das ein Kino ist, das auch junge Leute heute noch erreichen kann.“ Fassbinder sei nie „an einem Kino der reinen Unterhaltung oder gar der Weltflucht“ interessiert gewesen: „Er hatte wirklich was zu sagen, er hatte eine ganz besondere Vision.“

Unermüdlicher Arbeiter: Der Regisseur (zweiter von rechts) 1971 beim Dreh von „Händler der vier Jahreszeiten“

Gibt es dafür ein Beispiel? „Wie Fassbinder Frauen dargestellt und ihnen herausragende Rollen innerhalb seiner kraftvoll erzählten Geschichten verschafft hat, das war sehr visionär und modern!“ Wenn man heute einen Fassbinder-Film sieht, dann habe man nicht das Gefühl, einen Film aus früheren Jahrzehnten vor sich zu haben, sagt Harrington: „Sie sind sehr dynamisch und uns deshalb auch sehr nah.“

Ellen Harrington: „Ein Moment der Erleuchtung“

Hat sie einen Lieblingsfilm, einen Fassbinder-Film, der sie besonders beeindruckt hat? „Als ich begonnen habe Filme zu sehen, und mir irgendwann bewusst wurde, dass es auch ein Kino außerhalb der USA gibt, ich das internationale Kino entdeckt habe, ein Kino, das einen unmittelbar und direkt anspricht und ergreift, sah ich Fassbinders ‚Die Ehe der Maria Braun‘.“

Hanna Schygulla und George Byrd in „Die Ehe der Maria Braun“

Ihr sei damals bewusst geworden, was Kino auch sein könne außerhalb des Hollywood-Kosmos, der ja mehr auf konventionelles Geschichtenerzählen setzt: „Das war für mich ein Moment der Erleuchtung und des Staunens.“

„Die Ehe der Maria Braun“ schilderte 1979 die Nachkriegserfahrungen einer Frau (gespielt von Hanna Schygulla), die sich im Wirtschaftswunderland Deutschland mit den Verhältnissen arrangiert. Der Film war auch im Ausland ein Zuschauererfolg.

Fassbinders besonderer Blick auf die deutsche Geschichte

„Wenn Sie aus den USA kommen und mit Filmen über den 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, die man als propagandistisch bezeichnen kann, die einseitig im Hinblick auf die Bewertung des Krieges waren, die ein klares Gut-Böse-Schema hatten, dann hat Fassbinder wirklich etwas Neues hervorgebracht“, sagt die amerikanische Museumsdirektorin in Deutschland.

Isabelle Louise Bastian erfasst alles, was Fassbinder hinterließ

Fragen nach einer kollektiven Schuld seien bei Fassbinder thematisiert worden, nach persönlicher Verantwortung, Fragen auch, wie Menschen sich verhalten und überleben in solchen Momenten. Fassbinder habe das mit einem sehr persönlichen, kraftvollen Blick herübergebracht: „Das hat mich und andere Leute, die die Filme Fassbinders gesehen haben, sehr beeindruckt.“

Ein wenig von dieser Perspektive auf Fassbinders Werk, die im Ausland immer eine andere war als in Deutschland, wollen Harrington und die Mitarbeiter des „Fassbinder Centers“ ab Montag der Öffentlichkeit vermitteln. In unmittelbarer Nähe zur Goethe-Universität im Herzen Frankfurts gelegen, will die Forschungseinrichtung (im Zusammenspiel mit dem Filmmuseum am Frankfurter Museums-Ufer, wo Fassbinders Filme dann auf großer Leinwand gezeigt werden) insbesondere auch Studenten ansprechen.

Sie, aber auch Wissenschaftler aus aller Welt und andere Filminteressierte, werden dann auf einen Schatz stoßen: Die Sammlungen der 1986 noch von Fassbinders Mutter gegründeten „Rainer Werner Fassbinder Foundation“ aus Berlin und New York (die dann von Fassbinders ehemaliger Cutterin Juliane Maria Lorenz-Wehling 1992 übernommen wurde) sind mit den Beständen des DDF vereint worden.

Arbeitsdrehbuch von „Lili Marleen“: Fassbinder war ein manischer Planer, seine Filme entstanden im Kopf und auf Papier

Und nicht nur das: Das „Fassbinder Center“ sammelt nicht nur Fassbinder-Dokumente, sondern beherbergt auch einen Schwerpunkt „Neuer Deutscher Film“. Der umfasst schon jetzt zahlreiche Nach- und Vorlässe von Weggefährten wie Volker Schlöndorff oder Reinhard Hauff, aber auch jüngeren Regisseuren wie Romuald Karmakar und Dani Levy. Deutschland wird also in Zukunft in Frankfurt über einen ganz besonderen historischen Kinoschatz verfügen.

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