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Politik - 29.10.2018

Bijan Kaffenberger zeigt der SPD, wie es funktioniert

Er gilt als Ausnahmeerscheinung: Der 29 Jahre alte Bijan Kaffenberger ist mit 28,3 Prozent der Stimmen als Direktkandidat für die SPD in den hessischen Landtag gezogen. Von dem Youtuber mit Tourette-Syndrom können seine Parteigenossen noch viel lernen. 0

Als die Reporterin der „Hessenschau“ in Darmstadt Bijan Kaffenberger für ein Statement zu seinem Wahlerfolg ans Mikrofon holt, schaut der junge Mann im Anzug ziemlich ernst in die Kamera: „Na ja, nach der Bayern-Wahl war auch bei mir eine gewisse Ernüchterung da“, sagt der 29-Jährige. „Aber ich habe entschieden, dass ich mich davon nicht beeindrucken lasse. Und das hat sich ausgezahlt.“

Kaffenbergers Arme und Oberkörper zucken währenddessen immer wieder unkontrolliert, er scheint nicht stillstehen zu können. Mal verzieht er mitten im Satz das Gesicht, dann sieht es so aus, als würde er mit dem Gesicht gleich das Mikrofon treffen, das ihm die Reporterin unter die Nase hält.

Kaffenberger, der das Tourette-Syndrom hat, lässt sich von seinen Tics nicht beirren. Unaufgeregt beantwortet er die nächste Frage der Reporterin, welche Themen er nun in den Landtag mitbringen werde: „Ich habe relativ deutlich klargemacht, was meine Kernthemen sein werden: Bildung, Wohnen, Mobilität und Digitalisierung insbesondere.“ Gerade in Sachen Digitalisierung bringe er durch seine Tätigkeit als Referent im Thüringer Wirtschaftsministerium sehr viel Expertise mit.

Kaffenberger ist ein politisches Phänomen, eines, von dem die SPD etwas lernen kann – und sollte. Denn während die Sozialdemokraten bei der Landtagswahl in Hessen auf nur noch 19,8 Prozent der Stimmen kommen und damit gleichauf mit den Grünen liegen, hat dieser Nachwuchspolitiker der ehemaligen Kultusministerin Karin Wolff (CDU) den Wahlkreis abgeluchst. Mit 28,3 Prozent der Stimmen zieht er als Direktkandidat in den hessischen Landtag. Damit hat er etwas geschafft, was seiner Partei längst unmöglich scheint: Stimmen gewinnen, Leute für sich und seine Ideen begeistern.

Authentisch und witzig

Beflügelt wurde Kaffenbergers Erfolg sicher auch durch seinen selbstbewussten und authentischen Umgang mit der Erkrankung. Zum ersten Mal trat sie im Alter von sechs Jahren auf. Auf seinem Youtube-Kanal „Touretikette“ kokettiert er – in einem alten Ledersessel sitzend und Zigarre paffend – vor der Kamera in Gentlemen-Manier. Dabei beantwortet er die unterschiedlichsten Fragen, die ihm seine mehr als 11.000 Abonnenten stellen – nicht nur zu seiner neuropsychiatrischen Erkrankung, die die Tics verursacht, sondern bespielsweise auch, ob Sex mit Nazis in Ordnung ist. „Wenn die braune Seite der Macht dir so reizvoll erscheint und du mit Hairstyles klarkommst, mach’ dich ran, Bro“, antwortete Kaffenberger schlagfertig.

Die witzigen Clips brachten Kaffenberger schon etliche Auftritte im Fernsehen ein, unter anderem mit Eckart von Hirschhausen. Der Kanal, so gestand Kaffenberger, habe „eine gewisse Form von Bekanntheit mit sich gebracht, die ja eher für Politiker untypisch ist“. Aber gerade deshalb hätten sich wohl junge Leute motiviert gefühlt, zur Wahl zu gehen und für ihn zu stimmen, sagte er in der „Hessenschau“.

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Dabei will sich Kaffenberger nicht auf das Thema Inklusion reduzieren lassen. „Ich habe kein Interesse daran, der Vorzeigepolitiker mit Behinderung zu sein“, sagte er während des Wahlkampfes dem „Jetzt“-Magazin im Interview. Auch wenn er das Thema natürlich immer mitdenke. Stichwort Mobilität: Kaffenberger besitzt keinen Führerschein und muss stattdessen den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Genau wie andere Pendler ärgere er sich dann, wenn der Bus im Stau stecken bleibe. Darum fordert er nun den Ausbau der Straßenbahn in Darmstadt sowie den Einsatz von Elektrobussen.

Seinen Erfolg erklärte Kaffenberger vor einiger Zeit selbst so: „Ich glaube daran, dass Menschen mit Besonderheiten zu Großem fähig sind“, sagte er als Gastredner auf dem „Zeit online“-Forum „Z4X“. Er habe viel in seinem Leben mit Tourette erreicht, wisse aber auch, dass in vielen Bereichen Teilhabe eingefordert und ermöglicht werden müsse. Das sei nicht immer einfach und gelänge schon gar nicht von allein. „Tourette hin oder her“, resümierte Kaffenberger, „im Wesentlichen habe ich mir immer gesagt: Denk positiv, sei offen, mach das Beste draus.“ Er habe sich nie entmutigen lassen. Ihm habe immer geholfen, dass seine Familie hinter ihm gestanden habe.

Mit 19 in die SPD eingetreten

Kaffenberger wuchs nach dem Tod der Mutter bei den Großeltern auf, seit er sieben Jahre alt war. Die Großmutter ging putzen, der Großvater war Maschinenschlosser bei der Deutschen Bahn. Kaffenberger spielte Fußball in Darmstadt-Roßdorf, engagierte sich bei den Pfadfindern, machte das Abitur. „Ich war der Erste in der Familie, der studiert hat“, sagte er dem „Darmstädter Echo“. Nach seinem Master in Wirtschaftswissenschaften hat er ein Promotionsstudium am Lehrstuhl für Bankbetriebslehre in Frankfurt angefangen.

Mit 19 trat er in die SPD ein. Seine Familie sei zwar nicht politisch aktiv gewesen, habe sich aber schon immer klar für die SPD positioniert. Besonders imponiert habe ihm von den SPD-Politikern vor allem der damalige Kanzler Gerhard Schröder, erzählt er dem „Echo“ weiter. Er könne sich noch ganz genau an die Plakate erinnern und an die positive Stimmung im Land. Kaffenberger selbst gehörte jahrelang dem Bezirksvorstand der Jusos Hessen-Süd an, 2017 kandidierte er als Stellvertreter für den neu gewählten Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert. Nun hat er den Sprung in den Landtag geschafft.

Kaffenberger weiß, dass sein neuer Job nicht leicht sein wird: „Man wird es am Ende sehen, wie ich mich etabliere.“ Aber er nehme diese Herausforderung an, sagt er in der „Hessenschau“. Neben dem flächendeckenden Glasfasernetz wolle er nun vor allem ein Auge darauf haben, dass es in seinem Wahlkreis zu keinem weiteren Verkauf von Wohnungen komme, die im Landeseigentum sind.

Auf die Frage, ob er denn nicht auch ein wenig stolz auf das außergewöhnliche Ergebnis sei, antwortet Kaffenberger trocken: „Zu sagen, ich wäre nicht stolz drauf, würde keinen Sinn machen.“ Er sei selbst von dem Wahlergebnis beeindruckt und könne es noch gar nicht fassen. „Es zeigt aber auch, wo die Reise hingehen kann, wenn die SPD sich personell erneuert und konsequent an sich arbeitet.“ Die SPD müsse wieder nah an die Leute rangehen und klare Positionen beziehen, was sie vor Ort machen wolle.

Er selbst wird mit gutem Beispiel vorangehen.

SPD und CDU verlieren deutlich – Gewinner sind die Grünen Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Hessen hat gewählt, und die Meinungsforscher haben auch hier recht behalten. SPD und CDU verlieren zweistellig, die Grünen hingegen legen zu. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) kann vorsichtig aufatmen.

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