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Politik - 23.10.2018

„Das hat uns organisatorisch an die Grenzen gebracht“

Auch im Oktober haben Freibäder vielerorts noch geöffnet – in der niedersächsischen Kleinstadt Hänigsen sogar eines, das es gar nicht mehr geben dürfte. Der Vorstandsvorsitzende verrät, wie das gelingen konnte. 0

Es war eine Sommersaison der Rekorde. Zwischen Flensburg und Passau meldeten die Freibadbetreiber noch nie dagewesene Besucherzahlen. Selbst Ende Oktober sind noch einige Bäder geöffnet – auch das Freibad in Hänigsen, das die Einwohner der niedersächsischen Kleinstadt vor acht Jahren in einer bemerkenswerten Initiative gerettet haben. Rainer Lindenberg, Vorstandssprecher der Freibad-Genossenschaft, empfiehlt dieses Modell allen Gemeinden, die aus Kostengründen darüber nachdenken, ihre Freibäder dichtzumachen.

WELT: Hallo Herr Lindenberg, haben Sie so etwas schon mal erlebt?

Rainer Lindenberg: Nein. Das hat es zu unserer Zeit hier jedenfalls noch nicht annähernd gegeben.

WELT: Wie viele Besucher hatten Sie in diesem Jahr schon?

Lindenberg: Wir werden in diesem Jahr die Zahl von 73.000 Gästen erreichen. Das ist für einen Ort mit 6000 Einwohnern ein unglaubliches Ergebnis. 2017 zum Beispiel waren es nur 43.000. Aber da hatte uns das Wetter ja auch ein bisschen betrogen. 2016, in dem Jahr also, in dem wir die Wahl zum besten Bad Deutschlands gewonnen hatten, waren es 56.000. Und das war schon ein toller Rekord. Allein im Juli hatten wir 28.000 Besucher! Das hat uns dann natürlich auch organisatorisch an die Grenzen gebracht.

WELT: Vermutlich waren auch die Pommes frites alle.

Lindenberg: Nein, nein. Wir haben hier eine sehr gute Gastronomie. Engpässe bei der Versorgung gab es nicht. Problematisch war eher, dass wir zusätzliches Personal für die Wasseraufsicht brauchten. Pflege und Reinigung des Bades sind bei einem solchen Ansturm natürlich auch aufwendiger.

WELT: Hat die Rekordbesucherzahl denn auch zu Rekordeinnahmen geführt?

Lindenberg: Absolut. Wir kassieren derzeit etwa zwei Euro pro Besucher im Durchschnitt, sodass wir rund 145.000 Euro Einnahmen erzielen konnten.

WELT: Lohnt sich der Betrieb eines Freibades eigentlich unterm Strich wirtschaftlich?

Lindenberg: Na ja. Ich will mal so sagen: Das Bad hat, bevor wir es als Genossenschaft übernommen haben, pro Jahr 320.000 Euro Unterdeckung produziert. Deshalb sollte es geschlossen werden. Wir haben der Gemeinde dann angeboten, dass wir es für die Hälfte dieser Summe weiterbetreiben würden. Jetzt bekommen wir jährlich noch einen Zuschuss von 160.000. Und damit kommen wir dann aus, inklusive aller nötigen Investitionen. Wirtschaftlich für die Kommune und ihre Bürger ist das auf jeden Fall.

WELT: Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Lindenberg: Wir haben lediglich zwei Angestellte, die als Schwimmmeister den Badebetrieb beaufsichtigen. Alles andere machen wir ehrenamtlich, 100 freiwillige Mitarbeiter, mit denen wir den gesamten Badebetrieb organisieren.

WELT: Ist das ein Modell auch für andere Städte?

Lindenberg: Unbedingt. Sehen Sie, trotz dieses Supersommers sind in Deutschland rund 500 Schwimmbäder von der Schließung bedroht. Dabei haben wir ein Riesenproblem, was die Schwimmfähigkeit der Menschen in Deutschland angeht. Das hat sich durch das Flüchtlingsthema noch einmal verschärft.

Dagegen kann man nur ankommen, wenn es hinreichend Schwimmbäder gibt. Und dafür ist die Übertragung kommunaler Einheiten auf Bürgergesellschaften wie unsere Genossenschaft eine sehr gute Möglichkeit, für die sich inzwischen auch Bürgermeister aus der ganzen Republik interessieren. Zumal so etwas auch das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Kommunen stärkt. Sehen Sie mal: Unsere Genossenschaft hat mittlerweile 1500 Mitglieder, und das bei nur 6000 Hänigser Einwohnern insgesamt.

Wie endlos kann ein Sommer sein? Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Der Sommer wurde offiziell verlängert, bis zum dritten Oktober. Zumindest in einem Freibad in Hannover. Knapp eine Woche vor dem kalendarischen Herbstbeginn zeigt er sich noch einmal von seiner besten Seite.

WELT: Ist Ihr Modell eigentlich ein Einzelfall?

Lindenberg: Nicht ganz. Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland derzeit fünf Schwimmbäder, die genossenschaftlich betrieben werden.

WELT: Wie lange bleibt das Bad geöffnet?

Lindenberg: Bis zum 31. Oktober. Das haben wir unseren Gästen versprochen, weil wir im Mai unser großes Becken nicht voll nutzen konnten. Aber da konnten wir natürlich noch nicht wissen, dass das Wetter so gut mitspielen würde.

WELT: Ist das Wasser denn überhaupt noch warm genug?

Lindenberg: Im Nichtschwimmerbecken sind es 25 Grad. Im großen Becken ist es aber schon etwas frischer. Da kommen wir jetzt noch auf 18 Grad.

WELT: Wenn das so weitergeht mit dem Wetter, machen Sie dann vielleicht auch Weihnachten auf?

Lindenberg: Schön wär’s, aber da kommen wir dann an physikalische Grenzen. Am Tag ginge das vielleicht sogar, aber durch die langen Nächte verliert das Wasser sehr an Temperatur, dagegen kommt unsere Biogasheizung nicht an. Am 1. November ist auch bei uns definitiv Schluss.

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