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Politik - 11.11.2018

Grenze hätte 2015 geschlossen werden können

Exklusive Dokumente des Innenministeriums belegen, dass es keine rechtlichen Bedenken gegen die Abweisung von Flüchtlingen gab. FDP-Chef Christian Lindner fordert einen Untersuchungsausschuss. 0

Im Herbst 2015 erstellten Spitzenbeamte einen Plan, wie die deutsche Grenze gegen die anhaltende Massenflucht geschützt werden könnte. Dazu wurden mehrere sogenannte Non-Paper erstellt, die niemals veröffentlicht werden sollten. Eines dieser Geheimpapiere liegt nun der WELT AM SONNTAG vor.

Das inoffizielle Dokument des Innenministeriums trägt den Titel „Möglichkeit einer Zurückweisung von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen“. Die Autoren erörtern darin die rechtliche Handhabe, die Grenzen doch noch zu schließen und Menschen abzuweisen, die als Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland strebten. Auch spielte das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration, kurz GASIM, in einer vertraulichen Analyse verschiedene Szenarien für die Grenzschließungen entlang der Balkanroute durch.

Vor der Öffentlichkeit sollten diese Überlegungen verborgen bleiben. Wie bekannt, blieb die Grenze trotz all der Bemühungen geöffnet, obwohl es nach dem Urteil der Experten keine rechtlichen Bedenken gegen eine Schließung gab. Das geht aus den Geheimpapieren klar hervor. Die Folgen der Flüchtlingskrise für Deutschland nahmen ihren Lauf.

Die Veröffentlichung der Non-Paper führt zu einer Neubewertung der Politik vor allem aufseiten der Opposition. FDP-Parteichef Christian Lindner fordert nun eine restlose Aufklärung der gesamten Ereignisse des Jahres 2015. „Die Enthüllungen werfen ein grelles Licht auf die Regierungspraxis von Frau Merkel. Für das Land zentrale Fragen werden in abgeschotteten und verdunkelten Runden debattiert. Die Entscheidung, ob unser Land über das geordnete Rechts- und Grenzregime hinaus Flüchtlinge aufnehmen soll, hätte aber öffentlich und parlamentarisch debattiert werden müssen“, sagte Lindner WELT AM SONNTAG.

Die neue Entwicklung bestätige „die Notwendigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, damit die gesamten Vorgänge des Jahres 2015 offengelegt werden“. Der FDP-Chef sagte weiter: „Die große Koalition und die Grünen sollten sich endlich dafür öffnen, damit eine Aufarbeitung und Befriedung dieses Komplexes möglich wird.“

Ähnlich beurteilt Oskar Lafontaine die Lage. Selbstverständlich müsse man über 2015 reden, um zukünftig Fehler zu vermeiden, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken im Saarländischen Landtag. „Weder der Bundestag noch die Bundesländer noch die europäischen Nachbarn wurden in diese Entscheidungen ausreichend einbezogen. Bis zum heutigen Tag fehlt es an der notwendigen Transparenz, die Voraussetzung einer demokratischen Entscheidung ist.“

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) lehnt die Einberufung eines Untersuchungsausschusses ab. „Ich wüsste nicht, was das bringen sollte“, sage Pistorius. Die Willensbildung innerhalb einer Regierung sei ein fachlich und manchmal auch juristisch hochkomplexer Prozess. „Am Ende ist es eine politische Entscheidung der Bundesregierung gewesen. Es nützt doch niemanden, diese erneut aufzuarbeiten.“

Die Fehler, die damals gemacht worden seien, seien intensiv aufgearbeitet worden. Fest steht, wir waren nicht ausreichend vorbereitet, weder administrativ noch logistisch.“ Heute seien die Lehren aus dem Jahr 2015 gezogen worden. Statt einen Untersuchungsausschuss zu fordern, sollten „alle Parteien einschließlich der demokratischen Oppositionsparteien die Zeit besser nutzen, um einen Migrationsfrieden zu erarbeiten“, sagte Pistorius.

„Die Entscheidung, im Falle eines Asylgesuches an der Grenze – unter Verzicht auf die bis dahin notwendigen Einreisevoraussetzungen wie Erfüllung der Passpflicht und Visum – die Einreise zu gestatten, war nicht rechtlich geboten, sondern politisch gewollt“, stellt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach fest.

Das sei ebenso wenig aufklärungsbedürftig wie der Umstand, dass es darüber unterschiedliche rechtliche und politische Bewertungen gab. Viel wichtiger sei die Frage: „Soll es tatsächlich auf Dauer bei dieser Praxis bleiben? Meiner Überzeugung nach, sollten wir möglichst rasch wieder zur Rechtspraxis vor der Grenzöffnung im September 2015 zurückkehren.“

Flüchtlingskrise ist nicht Ursache für den Aufstieg des Populismus in Europa Das Video konnte nicht abgespielt werden.
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Die TU Dresden hat in einer Studie den Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise und dem erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in Europa untersucht. Das Fazit: Die Migration ist nicht die Ursache für den Rechtsruck.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries hält auch nichts von einem Untersuchungsausschuss. „Auf einer endlosen Vergangenheitsbewältigung liegt kein Segen“, sagte de Vries. „Meine Überzeugung ist aber, dass wir Vertrauen und Glaubwürdigkeit nur dann zurückgewinnen können, wenn wir nach vorne schauen und es besser machen.“

Mitarbeit: Ansgar Graw und Marcel Leubecher

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