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Sport - 07.11.2018

Das Aus für die Schwergewichte

Konzession an den Zeitgeist: Bei den Olympischen Spielen 2024 wird es keine Segeljolle für schwere Männer mehr geben.

Der Brite Ben Ainslie gehört einer aussterbenden Generation an: Er gewann unzählige Medaillen im Finn-Dinghy.

Es sei die beschwerlichste Art, sich auf dem Wasser fortzubewegen, hat Jochen Schümann einmal über das Segeln im Finn-Dinghy gesagt. Und er muss es wissen. Seine Weltkarriere startete in der Einmann-Jolle, in der er 1976 olympisches Gold in Montreal holte und dafür sowohl ein exquisiter Techniker als auch ein Ausdauersportler werden musste.

Seit der Bootstyp 1949 für die Spiele von Helsinki konstruiert worden ist, verlangt er Seglern sehr viel ab. Und jede der zahlreichen Modifikationen hat es noch kraftraubender gemacht, ein bisschen Geschwindigkeit herauszuholen.

Das soll nun ein Ende haben. Das Finn-Dinghy wird ab 2024 nicht mehr olympische Segeldisziplin sein. So hat es die World Sailing Association auf ihrer Jahrestagung in Sarasota, Florida, vergangene Woche beschlossen. Ein weiterer Schritt des Weltverbandes, das klassische Segeln bei Olympia durch Fun- Sport-Disziplinen zu ersetzen und nur noch solche Sportgeräte zuzulassen, die für Männer und Frauen gleichermaßen geeignet sind. Sei es, dass sie entweder gemeinsam in Mixed-Teams antreten wie beim Nacra 17 oder in unterschiedlichen Wertungen segeln wie beim 49er, Laser und Windsurfen.

Diesem Trend zur Gleichberechtigung auf dem Wasser soll nun auch die Einführung einer gemischten Zwei-Personen-Jolle, einer gemischten Offshore-Yacht für zwei Personen sowie des Kite-Surfens gehorchen. Wie die Boote aussehen könnten, steht nicht fest, Designer sind aufgerufen, interessante Vorschläge zu machen für Schiffstypen, die sich dann auch im internationalen Markt durchsetzen sollen. Die traditionsreiche 470er-Klasse wird in der Liste nicht mehr erwähnt, sie könnte allerdings in einer Mixed-Variante berücksichtigt werden, wofür sie sich wegen ihrer weltweiten Verbreitung durchaus eignen würde.

Doch das Finn-Dinghy, eine der größten internationalen Klassen, ist endgültig raus. Als „Big Men’s Boat“ hat es einen Sportlertypus bevorzugt, der vielseitig begabt, erfahren, muskulös und mindestens 90 Kilogramm schwer sein muss. Zwar verfügt die Jolle nur über ein Segel, aber man muss hart arbeiten, um es zu bändigen. Dass erst Carbon-Masten, Foliensegel und dann das „Pumpen“ erlaubt wurden, bei dem das Segel wie ein Windfächer benutzt wird, um Schwung zu holen, hat die athletischen Anforderungen ständig gesteigert. Die Mühsal des Finn-Segelns nehmen nur Leute auf sich, die körperliche Qual mit taktischen Raffinement verbinden. Kopf und Muskeln.

Ein Mann der alten Garde: Willi Kuhweide nach seinem Olympiasieg 1964.

Das hat große Karrieren ermöglicht. So stand ein Finn am Beginn nicht nur von Jochen Schümanns Aufstieg, auch der Berliner Willi Kuhweide holte Gold in der Klasse, der legendäre Bootsbauer und Innovator Paul Elvström war nach dem Krieg drei Mal hintereinander erfolgreich, „Mister America’s Cup“ Russell Coutts, Sir „Big Ben“ Ainslie und Ian Percy erwarben sich hier ihre Reputation.

Mit dem Ende der olympischen Eignung des „Power Dinghys“ gibt es für großgewachsene Segler keine Möglichkeit mehr, an Spielen teilzunehmen. Schon 2012 war das Star-Boot ausgemustert worden, das ebenfalls mindestens einen schweren Segler von etwa 100 Kilogramm erforderte. Und das, obwohl die Körpergröße des Menschen in den meisten Ländern ständig zunimmt.

Die Entscheidung gegen den Finn wirft deshalb grundsätzliche Fragen auf. Was glaubt der olympische Segelsport zu erreichen? Wohin führt das paritätische Denken, das männliche und weibliche Sportler in Teams oder Leichtgewichtsklassen zusammenführt? Und was bringt die Integration von Kite-Surfern?

Die Grundidee hinter der vor zehn Jahren eingeleiteten Wende geht davon aus, dass Segeln nur eine Zukunft hat, wenn Männer und Frauen es gemeinsam ausüben können. Und es ist ein großer Fortschritt für die Segelvereine, ihren ambitionierten Nachwuchs nicht mehr nach Geschlecht aufteilen zu müssen, wenn es um die Besetzung olympischer Klassen geht. Denn natürlich ist es viel einfacher – und macht den Beteiligten auch mehr Spaß –, einer guten Steuerfrau den passenden Vorschoter zur Seite zu stellen, als ein weibliches Team schmieden zu müssen. Die Auswahl ist größe.

Dadurch rücken Bootstypen in den Fokus, die leichter und agiler sind und eher den physischen Voraussetzungen von Frauen entsprechen. So ist der von einem gemischten Duo gesegelte Nacra-Katamaran die gemäßigte Variante des Tornados, der bis 2008 olympisch war und als schwer zu bändigendes Biest gilt.

Segeln leidet von jeher an den hohen Kosten, die es den Akteuren aufbürdet. Um den Aufwand an möglichst intensive Erfahrungen zu knüpfen, werden ständig neue Designs erdacht, die noch schneller, rasanter, ,nasser’ sind. Solche Innovationen haben zwar mit dem Wettkampfcharakter auf der Regattabahn nichts zu tun, aber sie lassen sich besser vermarkten. Wenn nun für Paris 2024 ein Offshore-Racer eingeführt werden soll, der von einer Frau und einem Mann bedient werden kann, so steht ein entsprechend radikaler Entwurf in Frankreich bereits vor der Markteinführung: Bénéteaus Figaro 3.

Dem Kite-Surfen dürfte es im olympischen Programm ergehen wie dem Windsurfen. Während Weltcup-Events akrobatische Wellenritte und wilde Hetzjagden beinhalten, ist der gezähmte olympische Wettkampf im RS:X-Format öde und lahm. Jedenfalls nicht spannender als die Duelle bei den Finns, bei denen allerdings die besten Segler der Welt gegeneinander antreten.

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