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Sport - 07.01.2019

Sven Hannawald: „Erfolg macht süchtig“

Der ehemalige Weltklasse-Skispringer über den japanischen Überflieger Kobayashi, das deutsche Team und Druck im Leistungssport.

Sven Hannawald, 44, wurde 2002 zur Legende, als er als erster Skispringer alle vier Springen bei der Vierschanzentournee gewann….

Herr Hannawald, Sie waren 2002 der erste Skispringer, dem bei der Vierschanzentournee der historische Grand-Slam geglückt ist. Im vergangenen Jahr gelang dies auch dem Polen Kamil Stoch, am Sonntag könnte Ryoyu Kobayashi als dritter Springer in den Klub der Vierfachsieger aufsteigen.

Es ist faszinierend zu sehen, wie souverän sich Kobayashi da so durchschaukelt. Die Konkurrenz versucht ihn vergeblich einzufangen, man kann nur genießen, was er da zeigt. Kobayashi bleibt ganz bei sich, seine Technik ist einfach perfekt. Das hat man im vergangenen Winter schon bei Kamil Stoch gedacht, aber Kobayashi setzt da noch einen drauf.

Bei seinem dritten Sieg zuletzt in Innsbruck hat er die Konkurrenz deklassiert.

Es sagen ja immer alle, dass beim Finale in Bischofshofen noch so viel passieren kann, aber meistens fällt die Entscheidung bei der Vierschanzentournee in Innsbruck. Das war auch bei mir so, als ich gewonnen habe: Damals bin ich im ersten Sprung am Bergisel siebeneinhalb Meter weiter als alle anderen gesprungen. Es ist einfach eine andere Welt, in der man fliegt, wenn man so gut in Form ist

Was macht Kobayashi denn so besonders?

Er springt unheimlich aggressiv ab und schafft es dann im Absprungsübergang wahnsinnig schnell, die Ski in die perfekte Flugposition zu bringen. Dadurch verliert er keine Höhe und beschleunigt durch die Halbrundung seines Körpers im Flug sogar noch. Stoch hat es im Vorjahr geschafft, keine Geschwindigkeit in der entscheidenden Flugphase zu verlieren, aber Kobayashi wird sogar immer schneller und fliegt unten noch weiter, wenn alle anderen schon landen müssen.

Trotzdem ist es erstaunlich, dass es jetzt bei zwei aufeinanderfolgenden Tourneen solche Überflieger gibt…

Kamil Stoch hat in der Verbindung von Flugstil und Material neue Maßstäbe gesetzt. Alle sind auf diesen Zug aufgesprungen – nur Kobayashi nicht. Er ist nicht so leicht wie die anderen und kann längere Ski verwenden. Dadurch hat er mehr Fläche, die er nutzen kann. Das könnte zu einem neuen Trend im Skispringen werden. Kobayashi hat gezeigt, dass man auch mit einem normaleren Gewicht extrem erfolgreich sein kann. Wenn alles normal läuft, wird er am Sonntag auch das vierte Tournee-Springen gewinnen.

Sie haben es ja selbst erlebt: Wie geht es einem Skispringer, wenn er so einen historischen Grand-Slam-Sieg vor Augen hat?

Verdrängen funktioniert dann nicht mehr. Das geht vielleicht noch nach den ersten Tournee-Stationen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen, aber wenn du auch noch Innsbruck gewinnst, geht das einfach nicht mehr. Dann denkst du jede Minute daran und der Druck wird einfach unerträglich und macht dich kaputt. Man hat das im letzten Winter auch bei Kamil Stoch gesehen: Er war am Wochenende nach der Tournee beim Skifliegen total erschöpft und hatte keine Chance.

Für die deutschen Skispringer ist der Traum vom ersten Gesamtsieg seit ihrem Erfolg vor 17 Jahren wieder einmal geplatzt.

Trotzdem kann die Leistung von Markus Eisenbichler nie und nimmer eine Enttäuschung sein, genau wie der zweite Platz von Andreas Wellinger im letzten Winter. Dort ist niemand an Kamil Stoch rangekommen und in diesem Winter bläst Kobayashi die Posaune. Ich hoffe, Markus Eisenbichler zeigt beim Finale in Bischofshofen noch einmal seine Klasse. Die Fliegerschanze müsste ihm liegen. Allerdings sollte er nicht wie in Innsbruck mit der Brechstange angreifen. Er muss die Sprünge passieren lassen – dann könnte es etwas mit dem zweiten Platz in der Gesamtwertung werden.

Wie schätzen Sie die Leistung der restlichen deutschen Flieger ein?

Richard Freitag ist auf dem Weg nach oben, bleibt geduldig und konzentriert sich auf seine Technik. Allerdings ist er noch zu brav im Landeanflug, weil er nicht erneut einen Sturz riskieren will. Karl Geiger hat sich mit seinem ersten Sieg direkt vor der Tournee einen Favoritenrucksack aufgesetzt, den er noch nicht tragen konnte. Aber das sind wichtige Erfahrungen für ihn. Noch bitterer ist es für Andreas Wellinger gelaufen. Aber er ist einer, der in kurzer Zeit wieder den Anschluss an die Weltspitze schaffen kann.

Es dürfte feststehen, dass Bundestrainer Werner Schuster auch diesmal nicht den Tournee-Gesamtsieg als letzten noch fehlenden Titel mit seinen deutschen Skispringern gewinnen wird. Er hat seinen Vertrag noch nicht verlängert und wird in seinem Heimatland Österreich als künftiger Sportdirektor gehandelt.

Werner Schuster funktioniert super als deutscher Bundestrainer. Geld ist für ihn nicht das entscheidende Thema, sondern mehr Zeit für seine Familie. Er ist bestimmt 200 bis 250 Tage im Jahr unterwegs, da denkt man nach elf Jahren als deutscher Bundestrainer schon länger nach, wie es in Zukunft weitergehen soll.

Sie haben vor der Tournee Martin Schmitt als mittelfristigen Nachfolger für den Bundestrainer-Posten ins Gespräch gebracht.

Martin ist von seinen analytischen Fähigkeiten her ein absoluter Kandidat für diesen Posten. Man muss einfach der Typ für so etwas sein, muss neben analytischen auch politische Fähigkeiten haben. Martin bringt das alles mit. Aber er würde ganz sicher vorher Erfahrungen als normaler Trainer sammeln wollen und abklären, dass das alles mit der Familie funktioniert. Martin denkt einfach an alles. Für mich wäre dieser Posten nichts, weil ich dann wieder in so eine Tretmühle reinkommen würde.

Hätten Sie Angst, sich erneut der Gefahr eines Burnouts auszusetzen?

Ich schließe aus, dass mir ein Burnout nochmal passiert. Weil ich die Gefahren kenne. Und der Trainerjob wäre eine Gefahr, weil ich alles dafür tun würde, dass meine Jungs Erfolg haben. Und meinen Körper hintenanstellen würde.

So war es wohl auch damals, als Sie in den Burnout gerutscht sind?

Erfolg macht süchtig. In der Klinik habe ich gelernt, dass es meistens die Kombination aus Perfektionismus und Ehrgeiz ist, die einen in so eine Situation reintreibt. Ich war regelrecht vom Ehrgeiz zerfressen und konnte einfach nicht loslassen. Ich wollte unbedingt nach oben – und bin ganz unten gelandet.

Glauben Sie, dass der Druck heute im Leistungssport geringer als zu Ihrer Zeit ist?

Der Druck gehört einfach zum Leistungssport dazu: Damals bei mir wurde aber noch nicht so offen über das Thema Burnout geredet. Es gab zwar den Fall Deisler, aber das Ganze war noch mehr mit einem Tabu belegt. Auch Oliver Kahn hat erst ein paar Jahre später eingestanden, dass er unter einem Burnout gelitten hat.

Sie versuchen Menschen heute mit Seminaren für das Thema zu sensibilisieren.

Ich versuche den Menschen klarzumachen, dass man achtsam mit sich und seinem Körper umgehen muss. Krisen sind keine Lappalien. Ich glaube, dass ich ein authentisches Beispiel bin und den Menschen etwas mitgeben kann. Schließlich musste ich wegen meines Burnouts die Karriere beenden. Ich habe inzwischen verstanden, dass es mit das Wichtigste ist, im Leben die Balance zu halten.

Das ist aber auch für die Skispringer von heute bei all den Entbehrungen nicht so leicht. Auch Sie waren einst am Rand der Magersucht.

Natürlich wusste man immer, wie viele Kalorien jedes Nahrungsmittel hat. Und beim Skispringen geht es nun einmal auch ums Thema Gewicht. Das ist jedem bewusst, der diesen Sport betreibt und Erfolg haben will. Und man macht es mit und geht das Risiko ein, weil es ja nicht das ganze Leben so ist. Trotzdem ist es gut, dass Kobayashi jetzt ein Exempel statuiert und mit mehr Gewicht Erfolg hat. Das könnte einen Gegentrend im Skispringen einleiten.

Sie wirken inzwischen wieder sehr stabil. Neben Ihrem Job als Fernsehexperte haben Sie mit Ihrem Partner Sven Ehricht eine Unternehmensberatung gegründet und geben Seminare zum Thema Achtsamkeit. Haben Sie damit das perfekte Setup für Ihr Leben nach der Karriere gefunden?

Ich bin super aufgestellt, so wie ich es mir schon früher gewünscht hätte. Für Eurosport bin ich im Winter bei den Springen unterwegs. Im Sommer arbeite ich viel für die Agentur. Ich achte dabei aber extrem darauf, dass ich dann an den Wochenenden zu Hause bin. Die eigene Familie ist nämlich für mich der wichtigste Grundbaustein zum Glücklichsein. Ich hatte das Glück, Melissa kennenlernen zu dürfen, die Hochzeit und Nachwuchs kamen schnell danach. Die Zeit mit der Familie ist extrem wichtig für mich – auch nach so einer stressigen Zeit wie der Vierschanzentournee.

Wo steht eigentlich Ihre Trophäe vom Tournee-Sieg vor 17 Jahren?

Die wird in unserem neuen Haus einen schönen Platz finden. Am 28. Januar ist nämlich Einzug im neuen Haus zwischen München und Starnberg. Das ist ein schöner Rückzugsort für die Familie. Mit Kind in der Stadt ist es manchmal nicht so einfach. Und im Mai kommt ja auch noch unser Töchterchen. Dann habe ich fast alles geschafft: Ich habe geheiratet, habe zwei Söhne und eine Tochter. Dann muss ich nur noch einen Baum pflanzen.

Und „fliegen“ wollen Sie wirklich nicht mehr? Kürzlich haben sie für einen Filmdreh zur Reihe „Ewige Helden“ ja noch einmal in voller Montur auf dem Absprungbalken gesessen.

Das war tatsächlich ein komisches Gefühl. Ich hätte wirklich nur noch loslassen müssen. Ich gebe zu, dass es mich schon ein bisschen gekitzelt hat. Aber dann auch wieder nicht: Ich würde das Gefühl immer mit damals vergleichen. Und dann könnte ich nur enttäuscht sein. In den Jahren nach meinem Rücktritt war es total schwer für mich, beim Skispringen einfach nur zuzuschauen. Aber inzwischen ist das Thema „Fliegen“ für mich wirklich abgeschlossen. Ich bin in meinem neuen Leben genauso glücklich.

Schauen Sie sich manchmal noch Videos von Ihrem damaligen Triumph bei der Vierschanzentournee an?

Die Fernseharbeit bringt es mit sich, dass man sich auch mal die alten Aufnahmen anschaut. Mir macht es auch Spaß, andere mit in die Vergangenheit zu nehmen. Man fühlt ein bisschen Stolz und ist glücklich, dass es in der aktiven Karriere so gut funktioniert hat. Aber dann ist es auch gut damit. Und ich genieße lieber, solch Überfliegern wie Ryoyu Kobayashi zuzuschauen.

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