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Sport - 22.03.2019

Videobeweis: Der Fehler liegt im System

Der Ärger um den Videobeweis in der Bundesliga wird weitergehen – von Fußball-Schiedsrichtern wird Unmögliches erwartet. Ein Essay.

Unter den Fans gibt es großen Widerstand gegen den Videobeweis.

Christian Streich hatte sich bereits von seinem Platz erhoben. Sein Körper sendete eindeutige Fluchtsignale aus. Eine Frage noch zum Videobeweis im Spiel von Eintracht Frankfurt gegen den Hamburger SV. Nee, dazu sage er nichts, sagte der Trainer des SC Freiburg. Nur das noch, bevor er das Podium verließ: „Ist bei uns fünf oder sechs Mal passiert diese Saison.“

Streich hatte zuvor „irgendwelche wahnsinnigen Videobeweis-Sachen“ gegeißelt, unter denen seine Mannschaft im Kampf gegen den Abstieg immer wieder zu leiden gehabt hatte. Da wirkte es fast wie eine Ironie der Geschichte, dass die Freiburger es am vorletzten Spieltag einer zumindest strittigen Entscheidung des Videoassistenten zu verdanken hatten, in dieser Saison nicht mehr direkt absteigen zu können. Dabei sollte es mit dem Prinzip der ausgleichenden Ungerechtigkeit dank Videobeweis doch eigentlich vorbei sein.

Die Hamburger waren in Frankfurt zeitig in Führung gegangen, doch der Schiedsrichter annullierte das 1:0 wieder – nach Intervention aus Köln: Tatsuya Ito soll knapp im Abseits gestanden haben. Es gibt Fernseheinstellungen, die diese Sicht belegen. Der Oberkörper des Japaners scheint sich einen Hauch vor dem letzten Verteidiger der Frankfurter befunden zu haben.

Und trotzdem bleiben Zweifel: Lässt sich der Moment der Ballabgabe überhaupt eindeutig bestimmen? Wie verlässlich ist die Hilfslinie, die der Videoassistent in Köln bemühen kann? Und soll er nicht nur dann eingreifen, wenn eine krasse Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz vorliegt; wenn es also keine Zweifel gibt?

Anders als andere Sportarten hat sich der Fußball lange gegen die Einführung des Videobeweises gesträubt – was ihm viel Unverständnis eingebracht hat: Warum ziert ihr euch gegen etwas, was bei anderen bestens funktioniert? Auch die Debatten seit Einführung des Videobeweises zu dieser Saison dienen den Kritikern als Beleg dafür, wie rückständig und verstaubt der Fußball doch sei.

Das Problem sind die Graubereiche

Ein Argument wird dabei allerdings immer außer Acht gelassen. Jede Sportart hat ihre Eigenheiten, und eine Eigenheit des Fußballs ist, dass es in den Regeln Graubereiche gibt und vieles Auslegungssache ist. Die Technik hilft einem Schiedsrichter da nur bedingt weiter, weil es am Ende doch wieder auf seine Interpretation ankommt.

Die positiven Erfahrungen des Hockeysports mit dem Videobeweis werden dem Fußball immer wieder vor die Nase gehalten. Aber im Hockey ist Fuß eben Fuß. Bekommt ein Abwehrspieler den Ball im Schusskreis gegen den Fuß, liegt ein Vergehen vor, das mit einer Strafecke zu ahnden ist. Mit Hilfe von TV-Bildern lässt sich das in der Regel eindeutig klären und damit vom Schiedsrichter entsprechend sanktionieren – weil er nicht zwischen „Absicht“ oder „nicht Absicht“ unterscheiden muss. Im Fußball ist das anders: Hand ist nicht zwingend Hand. Dem Spieler muss auch eine Absicht nachgewiesen werden, wofür es verschiedene Parameter (Vergrößerung der Körperfläche, unnatürliche Handhaltung) gibt.

Man könnte nun entgegnen, dass das für den konkreten Fall am Samstag in Frankfurt nicht relevant sei. Es habe in dieser Situation nur zwei Möglichkeiten gegeben: Abseits oder kein Abseits. Insofern könne per se keine „krasse Fehlentscheidung“ vorliegen, sondern nur eine Fehlentscheidung. Denn wo finge die krasse Fehlentscheidung an: Wenn der Stürmer einen Meter im Abseits steht? Abseits ist er schon, wenn er sich nur einen Zentimeter zu weit vorne befindet. Ist das so wie bei Ito, darf das Tor nicht zählen. Es gibt allerdings auch in diesem Fall einen Graubereich in den Regeln: Der Schiedsrichter soll nur dann auf Abseits entscheiden, wenn er sich zweifelsfrei sicher ist. Daraus hat der Volksmund das Prinzip „Im Zweifel für den Angreifer“ gemacht. In den Regeln steht das nicht explizit, und eine solche Deutung ist zumindest übertrieben. Eher müsste es heißen: „Im Zweifel nicht gegen den Angreifer“.

So, wie der Videobeweis im Moment im Fußball gehandhabt wird, verlangt er von den Schiedsrichtern Unmögliches: Und dieses Problem wird sich auch durch die zunehmenden Erfahrungen mit dem neuen Hilfsmittel nicht aus der Welt schaffen lassen. Bisher sind Schiedsrichter es gewohnt, nach ihren Wahrnehmungen auf dem Platz Entscheidungen zu treffen. Durch den Videobeweis müssen sie gewissermaßen die Vogelperspektive einnehmen: Sie sollen nicht mehr das Spielgeschehen bewerten; sie sollen ihre eigene Entscheidung bewerten. Sie agieren damit praktisch auf der Metaebene.

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