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Wirtschaft - 04.11.2018

Weltweit brechen die Kurse ein

Ein „Flash Crash“ sorgt für Aufregung an der Wall Street. Der Grund: Sorgen um eine mögliche Zinswende. Der deutsche Aktienmarkt folgte mit seinem Minus anderen Weltbörsen.

Händler verfolgen auf ihren Monitoren im Handelssaal der Börse in Frankfurt am Main die Kursentwicklung.

Was am Aktienmarkt gerade passiert, könne man gut mit der Reise nach Jerusalem vergleichen, meint Analyst Jochen Stanzl. Solange die Musik spielt, wird getanzt. Doch stoppt sie, versuchen alle, einen Platz zu ergattern, um nicht als Verlierer dazustehen. Auf die Märkte übertragen heißt das: Solange die Kurse steigen, kaufen alle fröhlich Aktien. Doch setzt sich die Meinung durch, dass es bald bergab gehen könnte, verkaufen sie schnell. Nur dass es so schnell geht, hat dann doch alle überrascht. Der US-Leitindex Dow Jones war am Montag um fast 1600 Punkte abgerutscht – so stark wie nie zuvor an einem Tag. Weil die Börsen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt schon geschlossen waren, kam der Schock hierzulande verzögert an. Während die Kurse in Japan am Dienstag um fast fünf Prozent nachgaben, rutschte der deutsche Leitindex Dax in der Spitze „nur“ um drei Prozent ab.

Was passiert ist

Ähnlich wie in Deutschland sind auch in den USA die Aktienkurse über Jahre gestiegen. Seitdem Donald Trump Präsident ist, ging es noch einmal stark aufwärts, was er sich gerne auf die eigenen Fahnen schreibt. Acht Billionen Dollar hätten die Aktionäre durch ihn gewonnen, rechnete er erst vor Kurzem wieder vor. Dabei haben sich Marktbeobachter längst gefragt, wie lange dieser Börsenhype wohl noch anhält. Schließlich steigen in den USA langsam, aber sicher die Zinsen – das macht andere Anlageprodukte außerhalb des Aktienmarkts wieder attraktiver. Trotzdem hat wohl keiner damit gerechnet, dass die Stimmung so schnell kippen könnte.

Warum der US-Markt gekippt ist

„Viele Anleger sind in regelrechte Panik verfallen“, sagt Experte Thomas Altmann vom Investmenthaus QC Partners. Dabei gab es kein einzelnes Ereignis, das den Kursrutsch in den USA ausgelöst hat. Stattdessen mehrten sich zuletzt extrem gute Nachrichten zur Konjunktur in den USA. Das klingt zunächst paradox – schließlich spiegelt der Aktienmarkt immer auch ein Stück weit die Wirtschaftslage wider. Doch der Wirtschaft in den USA geht es inzwischen so gut, dass Experten vermuten, dass die Notenbank Fed das zum Anlass nehmen könnten, die Zinsen nun doch schneller als bislang erwartet anzuheben.

Beunruhigt hat die Anleger zum Beispiel die Nachricht, dass die Löhne in den USA stärker steigen als bislang angenommen. Das ist für Amerikaner zwar einerseits eine gute Nachricht, ihr Lebensstandard verbessert sich. Es kann andererseits aber zu steigenden Preisen führen. Denn bekommen die Menschen höhere Löhne, geben sie mehr aus und die Unternehmen können mehr für ihre Waren verlangen. Die Folge sind also steigende Preise, sprich Inflation. Die Notenbank versucht jedoch, die Preise stabil zu halten und die Inflationsrate auf zwei Prozent zu begrenzen. Um das bei steigenden Löhnen zu erreichen, dürfte sie weiter die Zinsen erhöhen. Schließlich sorgen höhere Zinsen dafür, dass die Menschen wieder mehr sparen und weniger Geld verprassen – was die Preissteigerungen eindämpft. Doch steigen die Zinsen, ist das keine gute Nachricht für Aktionäre. Denn bekommen die Amerikaner wieder mehr für ihr Erspartes, wird es für sie attraktiver, das Geld auf Tages- oder Festgeldkonten liegen zu lassen, statt es am Aktienmarkt zu investieren. Allein schon die Aussicht auf diese Entwicklung lässt die Kurse fallen. Schließlich wird am Aktienmarkt die Zukunft gehandelt: Rechnen Anleger mit fallenden Kursen, verkaufen sie ihre Aktien vorsorglich. Zumal die Kurse der US-Papiere ohnehin schon als überteuert galten.
So sagt Daniel Saurenz vom Analysehaus Feingold Research dann auch, schuld an dem Kurssturz sei „ein Mix aus zuvor überteuerten Kursen in den USA, einer zu großen Euphorie und plötzlich steigenden Zinsen“ gewesen. Manche fühlen sich gar bereits an den Schwarzen Montag von 1987 erinnert, als der Dow Jones um 23 Prozent nachgab. Wie heute sah man auch damals in den USA steigende Zinsen, einen fallenden Dollar und ein hohes Handelsdefizit. Verstärkt wird die Reaktion an der Börse heute allerdings noch dadurch, dass ein Großteil des Handels automatisiert ist.


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Welche Rolle Computer spielen

Schätzungen zufolge wird bereits mehr als die Hälfte des Aktienhandels nicht mehr von Menschen, sondern von Computern bestritten. Automatische Handelssysteme, die sich auf digitale Algorithmen stützen, können dabei selbstständig Kauf- und Verkaufsorder erteilen – meist im extrem schnellen Hochfrequenzhandel. Das Problem: Setzen zu viele „Algotrader“ auf den gleichen Trend oder orientieren sie sich an den gleichen Verkaufsschwellen, kann das einen Dominoeffekt auslösen, der sich verschärft, wenn es immer mehr automatische Verkaufssignale gibt. Nicht wenige Analysten erklären sich so die aktuelle Panik an den Aktienmärkten. Das Ziel, den Wertpapierhandel mithilfe von Technik rationaler und weniger anfällig für Stimmungen zu machen, wird durch Algotrader ad absurdum geführt.

Wie deutsche Anleger reagieren

Von Hektik oder gar Panik ist im Handelssaal der Frankfurter Börse am Dienstagmorgen nichts zu spüren. Zwar hat der Dax zum Handelsbeginn um neun Uhr erneut 3,2 Prozent verloren, pendelt sich dann aber bei einem Minus von rund zwei Prozent ein, als sich auch in New York für Dienstag eine Beruhigung abzeichnet. Beschönigen will die Lage trotzdem niemand. „Seit dem Rekordhoch vor zwei Wochen hat der Dax in der Spitze zehn Prozent verloren. Das ist heftig“, sagt Oliver Roth, Börsenchef des Bankhauses Oddo Seydler. Am 23. Januar hatte der Index mit knapp 13.600 Zählern ein Allzeit-Hoch erreicht, am Dienstag startete der Dax mit 12.232 Punkten. Es war der niedrigste Stand seit Anfang September vergangenen Jahres. Seit Ende 2017 haben die Kurse im Schnitt fünf Prozent eingebüßt. Im vergangenen Jahr hatte der Dax ein deutliches Plus von zwölf Prozent verbucht. „Anleger, vor allem die großen wie Fonds, Versicherungen und Pensionskassen, sind nervös. Wir sehen eine klare Korrektur“, sagt Roth. „Die Börse und die Kurse sind gigantisch weit vorausgelaufen und haben sich von der realen wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt.“

Wie es weitergehen könnte

Nicht nur die nächsten Tage werden unruhig, das gesamte Börsenjahr dürfte von deutlich größerer Unsicherheit geprägt sein als 2017. „Man muss sehen, dass auch die Anleihekurse gefallen sind. Damit werden Anleihen für Großanleger zur Alternative zu Aktien“, sagt Roth. „Wenn Zinsen steigen, gibt es immer einen Trend weg von Aktien.“ Trotzdem ist die Zuversicht nicht verflogen: „Das Umfeld für die Börse ist weiter Weltklasse“, meint Carsten Sommerfeld vom Handelshaus Tradegate. „Die Wirtschaft läuft, den Unternehmen geht es super, die Dividenden sind hoch und damit auch die Dividendenrendite. Und Deutschland bekommt offenbar eine stabile Regierung.“

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