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Wissen - 20.12.2018

Genforscher sammeln für „Hemingway“-Katze

1,8 Millionen Facebook-Likes, über 26 Millionen You-Tube-Aufrufe – auf dem Catwalk der Internetstars ist Lilbub ohne Zweifel eine Berühmtheit. Aber sie ist auch krank. Berliner Genetiker wollen jetzt das Erbgut des Katzenstars entziffern.

Hypnotisch, außerirdisch, einfach niedlich – wie auch immer man den Gesichtsausdruck von Lilbub nennen mag, die Hauskatze ist ein…

Ernest Hemingway bringt man üblicherweise mit Stierkämpfen, alten Männern, dem Meer und vielleicht noch großen, widerspenstigen Fischen in Zusammenhang. Allerdings ist der Schriftsteller auch ein Katzennarr gewesen, spätestens seit er in den 1930er Jahren von einem Kapitän „Snowball“ geschenkt bekam – eine gewöhnliche Hauskatze, bis auf die Tatsache, dass sie sechs statt fünf Zehen hatte. In seinem Haus auf Key West in Florida kümmerte sich der Autor so gut um Snowball, dass es bald Dutzende von Nachfahren gab, viele davon erbten die Vielfingrigkeit (Polydaktylie). Noch heute leben mindestens 60 Katzen mit überzähligen Zehen auf dem Grundstück und der Key West Halbinsel, die Population der polydaktylen „Hemingway-Katzen“. Drei Berliner Genetiker haben jetzt entdeckt, dass die im Internet berühmt gewordene Katze Lilbub mit hoher Wahrscheinlichkeit mit diesen Hemingway-Katzen verwandt ist. Auf der Crowdfunding-Website experiment.com sammeln sie noch bis Ende der Woche Geld, um das gesamte Erbgut von Lilbub aus einer Blutprobe entziffern zu können.

Mit Silberblick zum Internetruhm

Dass im Internet Fotos und Videos von niedlichen Katzen mitunter mehr Klicks, Likes, Shares und Retweets bekommen als so manche Breaking News ist ein bekanntes Phänomen. Doch die Reaktionen auf Lilbub gehen über die üblichen „Ach-ist-die-süß“-Likes hinaus. Lilbub wurde im Juni 2011 in einem Geräteschuppen im US-Staat Indiana gefunden – eine zwergenhaft kleine Katze mit verkürzten Beinen, einem hypnotischen Silberblick und vor allem einem zu kurzen Oberkiefer, weshalb die Zunge stets aus der Schnauze hängt. Was ihr einerseits einen … besonderen Gesichtsausdruck verleiht, andererseits musste sie deshalb anfangs per Flasche ernährt werden. Das übernahm Mike Bridavsky, der die Katze (angeblich mit den Worten „Hey, Bub“) aufnahm und bis heute Besitzer von Lilbub ist.

Nach ein paar Wochen Päppelns stellte er dann das erste Foto seiner Katze auf Tumblr, lud ein Youtube-Video hoch, machte also, was Millionen andere Katzenliebhaber auch tun. Lilbub allerdings hatte binnen kürzester Zeit Millionen Fans. Inzwischen hat Bridavsky nicht nur eine eigene Homepage und Facebook-Seite für Lilbub eingerichtet, die 1,8 Millionen Likes zählt. Auch die Youtube-Videos seines Haustiers erreichen mit 26 Millionen Aufrufen (Stand Mai 2015) ein Massenpublikum. Inzwischen vermarktet Bridavsky Lilbub in Büchern, Filmen, als Stofftier, auf Kaffeetassen, T-Shirts, Socken, Handyhüllen und sogar in Form von Ohrringen über den „Bub-Store“. Manch ein Fan hat sich sogar schon ein Lilbub-Tattoo stechen lassen. Nach Auftritten bei „Good Morning America“, „Today“ und anderen TV-Shows ist das Tier inzwischen Moderator der eigenen Internet TV-Show und „interviewt“ Prominente wie Michelle Obama, Whoopi Goldberg und Robert de Niro. Immerhin nutzt Bridavsky die Web-Aufmerksamkeit auch für Spendenaktionen: Über 100.000 Dollar habe Lilbub schon für die Tierschutzorganisation „American Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ gespendet.

Lilbubs Besitzer Mike Bidavsky.

Wenn sich Genforscher Katzenfotos schicken…

Bei so viel Prominenz im Netz war es nur eine Frage der Zeit, bis auch ein junger Molekularbiologe über die Bilder von Lilbub stolperte. Vor etwa einem Jahr schickte der Biologe Daniel Ibrahim (32) seinem Freund und Kollegen Darío Lupiáñez (33) einen Link zu einem der vielen Lilbub-Videos. Beide erforschen am Berliner Max-Planck Institut für Molekulare Genetik in Berlin-Dahlem die Ursachen von Erbkrankheiten. Und beide waren sofort fasziniert.

Allerdings nicht nur von der Niedlichkeit der kleinen Katze, sondern vor allem von ihrer Polydaktylie und ihrer anderen Entwicklungsdefizite. Darunter ihr verkürzter, zahnloser Oberkiefer und übermäßiges Knochenwachstum in den Beinen (Osteopetrose), weshalb Lilbub nicht gut laufen kann. „Welche Genmutationen könnte Lilbub haben?“, fragten sich die beiden Forscher. „Wissenschaftlich ist das ein spannender Fall, da es nicht in das Muster bekannter Erbkrankheiten passt, das wir von Patienten kennen“, sagt Lupiáñez, der hauptberuflich Vielfingrigkeit bei Menschen und Mäusen erforscht. Zwar seien jeweils Genmutationen sowohl beim Mensch als auch bei Katzen bekannt, die Vielfingrigkeit und auch Osteopetrose auslösen können. „Bei Lilbub haben wir uns aber gefragt, ob es eine Kombination von mehreren seltenen Krankheiten ist oder vielleicht eine ganz neue Art von Mutation.“ Das Erbgut von Lilbub zu untersuchen, könne also dazu beitragen, Erbkrankheiten nicht nur bei Haustieren sondern auch bei Menschen besser zu verstehen.

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