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Wissen - 04.11.2018

In der Bildung muss es gerechter zugehen

Es muss gerechter zugehen in der Bildung – dazu gehört auch, dass für benachteiligte Gruppen besonders viel getan wird, sagt unser Kolumnist.

Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda.

Neulich traf ich in München eine aufgebrachte Studentin. Knapp 20, 3. Jurasemester. Dieses ständige Gerede von der Bildungsbenachteiligung gehe ihr gehörig auf die Nerven, schimpfte sie. Keine Schule, keine Universität habe ein Wärterhäuschen vor der Tür, kein Lehrer, kein Professor frage zu Beginn der Stunde nach, wessen Eltern studiert haben und wessen nicht. „In Deutschland kann jeder alles schaffen, wenn er nur will.“ Dazu gehöre aber auch, sich nicht ständig zu beklagen, sondern sich einfach mal auf den Hosenboden zu setzen.

Ich glaube, dass viele Leute so denken. Für sie bedeutet Bildungsgerechtigkeit: Der Staat behandelt alle gleich, und für den Rest ist jeder selbst verantwortlich. Es ist ja auch eine Logik, die nicht ohne Weiteres eingängig ist: Dass man manchmal erst dadurch gleiche Chancen schafft, dass man Menschen ungleich behandelt. Indem man manchen mehr Unterstützung gewährt als anderen.

In den USA gerät die Affirmative Action unter Druck

In den USA gerät gerade mal wieder die Jahrzehnte alte Tradition der Affirmative Action unter Druck. Affirmative Action bedeutet kurzgefasst, dass zum Beispiel die Harvard Universität versucht, den Anteil der Schwarzen, Latinos und der amerikanischen Ureinwohner unter ihren Studenten systematisch zu erhöhen. Weil diese Minderheiten in der Gesellschaft systematisch benachteiligt werden. Bedeutet das eine ungerechte Bevorzugung, ist es Rassismus, wenn dadurch weniger Weiße und weniger Amerikaner asiatischer Abstammung einen Studienplatz bekommen? So argumentiert die Klage eines konservativen Aktivisten vor einem Bostoner Bundesgericht.

Harvard wehrt sich: Die Hochschulzulassung entscheide sich an einer Vielzahl an Kriterien, worunter die „Rasse“ nur eine sei. Fest steht: Würde man allein auf die akademische Leistung schauen, wären Asian Americans in Harvard und anderswo im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung noch überrepräsentierter, als sie ohnehin schon sind.

Ich habe versucht, der Münchner Studentin zu erklären, dass wir alle von zu Hause unterschiedlich gut aufs Lernen vorbereitet werden. Dass die einen Eltern haben, die sie pushen und ihnen helfen, und die anderen sich alles selbst erarbeiten müssen. Weshalb bei letzteren eine Drei vielleicht genauso viel wert ist wie eine Eins bei ersteren. Und dass die Drei deshalb noch nichts über das Potenzial aussagt. Meine Eltern zum Beispiel waren Akademiker in der vierten Generation, das hat mich nicht klüger gemacht, aber ich habe mich auf dem Gymnasium und an der Uni nie gefragt, ob ich da hingehöre oder nicht. War doch klar irgendwie.

Es geht darum, den Einfluss der Herkunft zurückzudrängen

Die Aufgabe eines gerechten Bildungssystems ist nicht, dumme Menschen zu höheren Abschlüssen durchzuschleusen. Im Gegenteil. Es geht darum, den Einfluss der Herkunft zurückzudrängen. Damit am Ende alle das leisten können, wozu sie von ihrer Intelligenz her in der Lage sind. Und ja, das könnte bedeuten, dass einige der nicht ganz so schlauen Akademikerkinder nicht mehr ganz so automatisch durch Schulen und Hochschulen schreiten.

Noch ein Gedanke. Bund und Länder planen ein Programm, das „Schulen in benachteiligten sozialen Lagen“, so der politisch-korrekte Begriff, besondere Finanzhilfen gewähren soll. Was dazu führen wird, dass eine Schule mit vielen armen Kindern mehr Geld, mehr Personal und mehr Beachtung erhält als eine mit vorrangig bürgerlicher Demografie. Das Motto lautet auch hier: Ungleiches ungleich behandeln. In Berlin und in Hamburg zum Beispiel passiert das in Ansätzen schon heute.

Ein richtige, eine wichtige Initiative. Die Frage: Sind wir als Gesellschaft reif genug?

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen

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