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Wissen - 07.07.2019

Überwachung aus dem All

Statt ihnen nur ab und an in die Wildnis zu folgen, wollen Forscher das Leben möglichst vieler Tiere langfristig beobachten. 2016 werden sie die dafür nötige Technik auf der Internationalen Raumstation installieren.

Tierische Informanten. Monarchfalter (oben) können noch nicht bis ins All funken, bisher ist die Reichweite der winzigen…

Eines der größten Mysterien ist der Tod. Die meisten Lebewesen verschwinden, als hätten sie nie existiert. Martin Wikelski ärgert das. „Wer weiß, wo und woran Tiere sterben, der weiß, wie er sie schützen kann. Er erkennt, woran Ökosysteme kranken, ja er kann das Überleben der Menschheit sichern“, sagt der Vogelforscher. Das klingt hochtrabend. Doch wer mit ihm über die Pläne seines Teams spricht, erkennt die Wahrheit darin.

Martin Wikelski ist Professor an der Universität Konstanz und Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie, besser bekannt als Vogelwarte Radolfzell. Er hat eine weltumspannende Allianz geschmiedet, unter anderem mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos. „Icarus“ steht für „International Cooperation for Animal Research Using Space“. Das Projekt soll die Tiertelemetrie, also die Beobachtung von Tieren mit Peilsendern, revolutionieren.

Mithilfe der Internationalen Raumstation ISS wollen die Forscher nicht nur die weitgehend unbekannten Todesumstände von Vögeln und anderen Arten aufklären. Sie wollen ganze Lebensgeschichten von Störchen und Tigern, von Haien und Heuschrecken aufzeichnen. „Woran sterben Eichhörnchen?“, fragt Wikelski. Holt sie der Marder, sind sie krank, ist es Altersschwäche? „Wir haben keine Ahnung.“ Das Wissen über Gewohnheiten und Gefahren, die Tieren drohen, sei rudimentär.

Elektroschock, Überanstrengung, eine Güllegrube

Ihr Schicksal zu überwachen, war lange mühselig. So hat man Vögel beringt, damit sie jeder Fachkundige identifizieren kann. Ab den 50er Jahren kamen Radio-Peilsender hinzu. Mit dieser Technik musste man das Tier zwar nicht mehr direkt vor die Linse bekommen, ihm aber trotzdem in die Wildnis folgen – in den Empfangsbereich der Antenne. Seit den 70er Jahren heften Forscher Tieren (inzwischen meist solarbetriebene) Sender an, die ihr Signal automatisch an einen Empfänger im Erdorbit funken. Der Satellit leitet es zum Institut weiter.

„Allerdings sind Satelliten noch nicht auf Tiertelemetrie ausgerichtet“, sagt Wikelski. Das amerikanisch-französische Argos-Satellitensystem war für Signale von Wetterbojen im Meer und die Nachverfolgung von Schiffen gedacht. Es kann in einem Gebiet von etwa 300 Kilometern Durchmesser nur ein Dutzend Sender gleichzeitig verarbeiten. Zudem ortet es sie oft nur per Dopplerverfahren, das im Idealfall auf etwa 150 Meter genau ist. Oder großräumig danebenliegt.

Forschungsassistenten. Das Schicksal der Gänse auf Kolgujew, einer Insel in der russischen Barentssee, wird bereits mithilfe von…

Darum nutzen Forscher heute lieber Sender, die ihre Ortsdaten per GPS metergenau ermitteln, sie auf einer Festplatte zwischenspeichern und per Mobilfunk versenden. Hunderte Weißstörche, Waldrappen, Silberreiher und Fischadler weltweit tragen allein im Auftrag der Vogelwarte Radolfzell eine Art Handy mit sich, mit dem sie zweimal am Tag automatisch eine SMS an die Forscher schicken. Stirbt zum Beispiel ein Storch, fällt es schnell auf, weil plötzlich jede SMS den gleichen Standort meldet. Dann entsenden die Ornithologen einen Kollegen, der den Sender birgt. Meist können die Forscher die Todesumstände rekonstruieren. Bei Störchen ist es oft der Elektroschock eines Strommastes, auf dem sie sich niederlassen wollten. Manchmal sind es Jäger, Raubtiere, Überanstrengung oder eine tückische Güllegrube, sagt Wikelski. „Jedenfalls haben wir die Lebensgeschichte komplett.“

Vierstellige SMS-Gebühren belasten das Forscherbudget

Die Nachteile: Abgesehen von den vierstelligen Gebühren pro Monat für die zigtausend SMS ist nicht aus jedem Land Roaming möglich. Ein Vogel im Kongo kann nichts nach Deutschland melden. Und dann sind da die Funklöcher. Was, wenn ein Tier in der Wüste oder auf dem Meer verendet? „In diesem Fall können wir es nicht finden“, sagt Daniel Piechowski, Wissenschaftskoordinator in Radolfzell. „Der gut 1500 Euro teure Sender samt wertvollen Daten ist verloren.“

Mit Icarus lassen die Forscher solche Probleme hinter sich. In Kooperation mit den Raumfahrtbehörden werden sie ein Empfangs- und Sendesystem ins All schicken, das für die Tiertelemetrie geschaffen wurde. Im März 2016 werden es auf der ISS russische Kosmonauten installieren. Die Raumstation kreist in 450 Kilometer Höhe, halb so hoch wie die oft genutzten Argos-Satelliten. Das reduziert die nötige Leistung der Sender. Ein Defekt ließe sich rasch reparieren. Vor allem deckt der Empfänger fast die gesamte Erdoberfläche ab: Alle eineinhalb Stunden umkreist die Raumstation den Globus von Südwest nach Nordost, bei jeder Umdrehung um gut 2000 Kilometer nach Westen versetzt.

Abgesehen vom Nord- und Südpolargebiet überfliegt sie regelmäßig jeden Ort auf Erden, aktiviert die Sender per Wecksignal und lädt einen Auszug der zwischenzeitlich aufgezeichneten Daten binnen wenigen Sekunden herunter. Die Sender verfügen neben GPS auch über einen 3-D-Beschleunigungssensor; er gibt Aufschluss über die Bewegungen und das Verhalten des Tieres. Optional sind Sensoren für Höhe, Temperatur, Puls oder Atmosphärenchemie. Zudem können die Forscher den Sender neu konfigurieren, für neue Messreihen. Die gesamten Daten ziehen sie aus dem Speicher, wenn sie das tote Tier bergen. Telefongebühren sind Geschichte. Zudem soll Icarus bis zu 500 Sender gleichzeitig verarbeiten.

Die Wanderung von Wasservögeln verrät, wie sich die Vogelgrippe verbreiten kann

Und die Miniaturisierung schreitet voran, sodass immer kleinere Tiere sie ohne Beeinträchtigung tragen können. Bislang sind die Geräte so groß wie ein USB-Stick, haben zwei Quadratzentimeter Solarfläche, eine sechs Zentimeter lange Antenne und wiegen etwa fünf Gramm. Damit kann man Tiere ab 100 Gramm Körpergewicht belasten, also einen Kuckuck oder eine große Amsel. „Bis 2020 wollen wir auf ein Gewicht von einem Gramm herunter“, sagt Wikelski. „Das ist im Bereich von Rauchschwalben oder Mauerseglern, die von Deutschland aus um die Welt fliegen.“ Selbst Insekten sollen in Zukunft an die ISS funken, Monarchfalter könnten so von ihren berühmten Wanderungen berichten. Oder Heuschrecken, die sich zu verheerenden Schwärmen zusammenfinden. „Kleine Tiere erlauben uns noch tiefere Einblicke in den Rhythmus des Lebens“, sagt er.

Schon jetzt sind rund 30 Icarus-Projekte geplant. Von Flughunden in den Tropen wollen die Forscher wissen, wie sie Pflanzensamen verbreiten. Es heißt, sie säen jede Nacht hunderte Millionen Bäume. Eine Studie wird untersuchen, wie sich der Zug von Wasservögeln auf die Ausbreitung der Vogelgrippe auswirkt. Wüstenrennmäuse in Kasachstan übertragen bei hoher Populationsdichte die Pest. Wie das geschieht, soll ein weiteres Projekt herausfinden.

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