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Kultur - 26.10.2018

Die Kultur vor einem „harten“ Brexit

Als das Theaterlabor Bielefeld sein „Café Europa“ aus der Taufe hob, war vom britischen Exit noch keine Rede. Jetzt droht sogar ein „harter“ Brexit. Mit welchen Folgen, fragen sich Kulturleute – nicht nur in Bielefeld.

In Schottland, genauer gesagt auf der Bühne des „Leith Theatre“ in Edinburgh, hebt sich am 10. November der Vorhang für „Die letzten Tage der Menschheit“ (Artikelbild). Selten war das Stück von Karl Kraus aktueller. Denn der Österreicher hat sein Drama zwischen 1915 und 1922 als „Tragödie in fünf Akten“ verfasst, in der er die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges thematisiert. Das Stück führt vor, wohin politische Zerrissenheit führt.

Zerrissen wirkt schon jetzt das Tischtuch zwischen EU-Kommission und britischer Regierung. Die Verhandlungen um ein Ausstiegs-Abkommen stocken. Ob es gelingt, das europäisch-britische Verhältnis über den offiziellen Ausstiegstermin am 29. März 2019 hinaus vernünftig zu regeln? Zweifel sind angebracht. Der Deutsche Kulturrat spricht von einem „Schlamassel“, zumal über Kulturfragen bisher überhaupt noch nicht verhandelt wurde. „Wir haben Grund, nervös zu sein“, sagt Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann der Deutschen Welle. „Je weniger geregelt ist, umso schwieriger wird es für alle!“

Theaterprojekt „Café Europa“ in Gefahr

Christian Müller vom Theaterlabor Bielefeld

Das „Leith Theatre“ in Edinburgh arbeitet mit dem Theaterlabor Bielefeld zusammen. Außer dem schottischen und dem deutschen machen beim „Café Europa“ aber auch noch Theater aus Polen, Frankreich, Serbien, Irland und der Ukraine mit. Nach einem „harten“ Brexit, einem britischen Ausstieg ohne Abkommen, gäbe es „Café Europa“ vielleicht nicht mehr, jedenfalls nicht als Kooperationsprojekt von Theatern aus sieben Ländern. Denn nach diesem Brexit wäre Schottland nicht mehr dabei – es gehört zum Vereinigten Königreich.

„Kraus‘ literarische Vorlage bot sich an für dieses paneuropäische Projekt“, sagt der Bielefelder Theatermann Christian Müller, „denn der österreichische Kosmopolit hat damit ein Schreckensgemälde von wahrhaft europäischer Dimension geschaffen.“ Aufführungen von „Die letzten Tage der Menschheit“ sind – außer in Edinburgh und Bielefeld – in Polen, sowie Live-Übertragungen nach Irland und Frankreich geplant. Alle wissen: Wenn der Vorhang fällt, gilt das knappe Brexit-Votum der Briten vom 23. Juni 2016 weiter. Die schottische Stimme wird dann fehlen. „Jeder, der geht“, bedauert Müller, „ist ein Verlust“.

Brexit-Graphik des „Grüffelo“-Erfinders Axel Scheffler

EU-Förderung versiegt

Finanziell werden Theater, Museen und andere Kultureinrichtungen des Vereinigten Königreiches deutliche Abstriche machen müssen. Denn bei Europas Kulturförderung – derzeit 1,46 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2020 – gehen britische Antragsteller künftig leer aus. Geld aus dem EU-Topf gibt es für grenzüberschreitende Kultur- und Filmprojekte, das fragliche EU-Programm heißt „Creative Europe“. Hinzu kommen milliardenschwere Strukturhilfen Brüssels, die im Falle eines „harten“ Brexit wegfallen.

Vom EU-Kulturfördertopf profitieren nicht nur EU-Länder, sondern 43 teilnahmeberechtigte Staaten. Beim Anzapfen dieser Geldquelle sind Beraterinnen wie Sophia Hodge behilflich. Doch auch an ihrem „Creative Europe Desk“ in Bonn stellt man sich derzeit viele Fragen. So sei noch unklar, so Hodge, zu welchen Bedingungen Großbritannien die EU verlässt. „Bis dahin gehen wir nüchtern mit der Lage um – und verfallen nicht in Panik!“ Einstweilen ermutige man Kulturveranstalter weiterhin, mit britischen Kooperationspartnern zu planen.

Frust in britischer Kulturszene wächst

Angela Kaya, bis 2018 Leiterin des Goethe-Instituts in London

Je näher der Brexit rückt, desto mehr Frust mache sich breit in der britischen Kunst- und Kulturszene, beobachtet Angela Kaya, die scheidende Leiterin des Goethe-Instituts in London. Kaya, die nach Athen wechselt, war schon zu Beginn der Brexit-Verhandlungen vor gut zwei Jahren skeptisch. In der Zwischenzeit habe sich die Spaltung in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Sport, Kultur und Bildung weiter vertieft, so Kaya im DW-Gespräch. Mit 84,1 Milliarden Pfund trägt die Kulturwirtschaft – bestehend aus Film, Kunsthandel und Fernsehmarkt – zur britischen Wirtschaft bei. Europa ist, einer Studie der regierungsunabhängigen Vereinigung „Creative Industries Federation“ (CIF) zufolge, Englands größter Exportmarkt im Kulturbereich.

Ein ungeregelter Brexit, so viel ist klar, würde diesen Markt verschließen. Doch auch Deutschlands Musikindustrie bekäme die Folgen zu spüren, wie René Houareau, Geschäftsführer Recht & Politik beim Bundesverband Musikindustrie (BVMI) klarstellt. „Was bedeutet das für Musikfirmen, Urheber, Künstler, ihre Werke und Produkte?“, fragt er rhetorisch in der vom deutschen Kulturrat herausgegebenen Zeitschrift „Politik und Kultur“. Die Warnung des Managers: „Das Hauptproblem des Brexit ist die Rechtsunsicherheit – vor allem bei Schutzrechten wie dem Urheberrecht.“

Künstler und Studierende betroffen

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats

Wie Zweckoptimismus wirkt dagegen, was Charlie Redmayne, CEO von HarperCollins UK und Präsident der britischen Publishers Association (PA) zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse in die Mikrofone sagte: „Ich bin sicher, dass es letztlich zu einem wie auch immer gearteten Deal kommen wird.“ Beide Seiten hätten zu viel zu verlieren, um den Brexit im Chaos enden zu lassen. In seinem Verlag habe man in den letzten Monaten viele Szenarien hypothetisch durchgespielt, um für alle Fälle gerüstet zu sein. „Die freie Wahl des Arbeitsplatzes ist aus meiner Sicht ganz wichtig“, so Redmayne. HarperCollins UK beschäftige viele Mitarbeiter aus EU-Ländern, „auf die wir auf keinen Fall verzichten wollen!“

Wie das Kaninchen auf die Schlange starren dieser Tage auch Wolfgang Tillmanns und Axel Scheffler auf die Brexit-Verhandlungen. Sowohl Fotokünstler Tilmanns als auch Grüffelo-Erfinder Scheffler, beide Stars ihrer Branchen, waren mit Zeichnungen, Plakaten und Interviews gegen den britischen EU-Ausstieg zu Felde gezogen. Am Ende allerdings vergeblich. So betrifft es sie gleichermaßen, sollte die Freizügigkeit zwischen EU und England schlagartig enden.

„London ist einer der wichtigsten Kunstorte der Welt“, betont denn auch Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat, „wir müssen das regeln, auch wenn Großbritannien nicht mehr zur EU gehört“. Gleiches gelte für den Bildungsaustausch, das Studium junger EU-Bürger im Vereinigten Königreich. „Natürlich kannst Du dort auch als Nicht-EU-Bürger studieren“, weiß Zimmermann, „aber das ist nicht nur erheblich aufwändiger, sondern viel, viel, viel teurer!“

Anti-Brexit-Plakate von Wolfgang Tillmanns

Europa, sagt der Kulturrat-Sprecher, dürfe Großbritannien jetzt nicht einfach abschreiben. „Gerade die Kultur bietet die große Chance, Verbindungen aufrecht zu erhalten, wo es im ökonomischen Bereich nicht mehr möglich ist.“ Sollten die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der britischen Regierung scheitern, seien die Nationalstaaten gefordert. „Dann muss die Bundesregierung bilaterale Vereinbarungen treffen, auch für die Kultur!“

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