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Politik - 17.11.2018

Dieser Flüchtling ist Viktor Orbán willkommen

Dem ehemaligen mazedonischen Premier Gruevski gelang eine waghalsige Flucht nach Budapest, dort durfte er problemlos einreisen und sofort einen Asylantrag stellen. Aber warum sollte Orbán dem Verbrecher helfen? 0

Mazedoniens Ex-Premier Nikola Gruevski saß am Steuer des Autos, so viel war auf der unscharfen Aufnahme der Verkehrskamera zu sehen. Und das Datum, der 11. November – zwei Tage nachdem er eigentlich wegen Korruption im Gefängnis sitzen sollte. Das Brisante: Das Fahrzeug mit dem Kennzeichen CD 1013A gehört der ungarischen Botschaft in der albanischen Hauptstadt Tirana, wie eine dortige Zeitung berichtete.

Gruevski hatte nach Angaben der ungarischen Regierung „in einer ungarischen Auslandsvertretung außerhalb Mazedoniens“, wohl in Albanien, seine „Absicht kundgetan, nach Ungarn zu reisen und dort politisches Asyl zu beantragen“.

Dabei ist er weniger ein politisch Verfolgter als vielmehr ein rechtskräftig verurteilter Straftäter. Ein Gericht verhängte eine zweijährige Haftstrafe, weil er sein Amt dazu missbraucht habe, sich einen gepanzerten Mercedes S600 im Wert von 572.000 Euro zu verschaffen.

Das Geschäft war um ein paar Ecken gelaufen, eine Firma erhielt einen Staatsauftrag ohne Ausschreibung, und die Gegenleistung, so befanden die Richter, sei der Mercedes gewesen. Weitere vier Korruptionsverfahren sind anhängig gegen den früheren nationalkonservativen Regierungschef (2006–2016).

Kurz nachdem die Verkehrskamera das Foto geschossen hatte, verließ der 48-Jährige das Land in Richtung Montenegro – das bekräftigte die albanische Polizei, und auch, dass er in einem ungarischen Diplomatenwagen saß. Die mazedonischen Behörden ihrerseits erließen erst am 12. November einen internationalen Haftbefehl gegen Gruevski. Der meldete sich wiederum zwei Tage später auf Facebook aus Budapest: Er sei in Ungarn und habe dort Asyl beantragt.

Ab dann läuft alles ganz offiziell. Am Mittwoch dieser Woche bestätigten die ungarischen Behörden Gruevskis Anwesenheit, tags darauf gab Gergely Gulyás, Leiter der Staatskanzlei, Details bekannt.

Entgegen geltenden Regeln habe man Gruevski „aus Sicherheitsgründen“ erlaubt, seinen Asylantrag direkt bei der Einwanderungsbehörde in Budapest zu stellen, „angesichts der Tatsache, dass er zehn Jahre lang Mazedoniens Ministerpräsident war“.

Die normale Verfahrensweise bei Asylanträgen sieht vor, dass diese nur in ungarischen Auslandsvertretungen oder in sogenannten Transitzonen an der serbischen Grenze eingereicht werden können.

Gruevskis Verhör in Budapest habe „sehr lange gedauert“, sagte Gulyás. Am Freitag nannte Regierungssprecher Zoltán Kovács als Gründe, die Gruevski für seinen Asylantrag angab, dass er Todesdrohungen erhalten habe und dass die Prozesse gegen ihn nicht „fair“ seien. Kovács unterstrich zugleich, nicht „die Regierung“, sondern die „zuständigen Sicherheitsbehörden“ hätten entschieden, Gruevski nach Budapest zu holen.

So weit die Fakten, aber es gibt noch viele Fragezeichen. Zum Beispiel, wie Gruevski reisen konnte, nachdem die mazedonischen Behörden seinen Pass eingezogen hatten. Für die Einreise nach Albanien genügte sein Personalausweis, aber an den Außengrenzen der EU ist ein Pass notwendig.

Drei Theorien sind im Umlauf: Er mag, wie viele Mazedonier, auch einen bulgarischen Pass haben (Bulgarien betrachtet alle slawischen – nicht aber albanischen – Mazedonier als ethnische Bulgaren mit Anrecht auf die Staatsbürgerschaft). Oder aber er hatte mehrere Dienstpässe, keine Seltenheit bei Diplomaten und Politikern. Oder aber – so wollen es manche in Budapest wissen – er reiste mit einer Sondergenehmigung des ungarischen Innenministeriums ein.

Eine andere Frage ist, ob seine Einreise in Einklang mit den ungarischen Gesetzen steht. Wohl nicht – die Regierung selbst spricht von einer „Ausnahme“ aufgrund des außergewöhnlichen Charakters der Affäre. Für eine solche Ausnahme scheint es aber auf den ersten Blick keine rechtliche Grundlage zu geben.

Vor allem aber: War Gruevskis Flucht mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán abgesprochen und geplant? Offiziell hatte die Regierung nichts mit seiner Flucht oder seiner Einreise zu tun. So recht will es aber selbst in Ungarn niemand glauben, dass Gruevski auf eigene Faust und ohne jede konkrete Hoffnung auf Erfolg sein Glück versuchte. Falls aber Orbán seine Hand mit im Spiel hat, warum schützt er den Mazedonier?

Orbán hatte Gruevski in der Vergangenheit oft geholfen, sogar für ihn persönlich in Mazedonien Wahlkampf gemacht. Geschäftsleute aus Orbáns Umfeld halfen Gruevski, rechtspopulistische Kampfmedien aufzubauen. Aber jetzt, da er ein verurteilter Verbrecher ist, ist Gruevski toxisch. Ihn zu schützen bringt derzeit politisch eigentlich nur Nachteile, keine Vorteile.

Eine Erklärung ist Orbáns langfristige Strategie auf dem Balkan. „Er denkt wie frühere ungarische Könige, die den Balkan als Einflusssphäre betrachteten“, sagt ein Beobachter. „Er baut langfristige Positionen und Netzwerke auf, und ein Element dabei ist die Botschaft, dass man sich auch in der Not auf ihn verlassen kann.“

 Insofern kostet die Gruevski-Affäre Orbán im Westen zwar politisches Kapital – die USA forderten umgehend, der als russlandfreundlich geltende Gruevski müsse der mazedonischen Justiz überstellt werden.

Aber auf dem Balkan mögen manche Politiker – in Serbien und Bulgarien etwa – aufmerksam registrieren, dass auf Orbán Verlass ist. Asyl kann Gruevski in Ungarn nach geltendem Recht nicht erhalten.

Schließlich floh er aus einem sicheren Land und kam über mehrere sichere Länder nach Ungarn. Die Regierung in Skopje will einen Auslieferungsantrag gestellt haben, in Budapest will man einen solchen Antrag noch nicht empfangen haben. Ein Verfahren könnte sich über Monate hinziehen.

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