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Politik - 03.11.2018

Einsame Stunden in Riace

In dieser Woche interessierte besonders die Reportage aus Kalabrien über den Bürgermeister, der Flüchtlinge aufgenommen hat und festgenommen wurde. Jetzt haben auch die meisten Flüchtlinge das Dorf Riace verlassen. 0

Ein Bürgermeister, der Flüchtlinge integriert und wegen Begünstigung illegaler Migration festgenommen wird? Das wollte ich mir genauer anschauen und bin nach Riace, Kalabrien gereist, ein Dorf am Ionischen Meer. Es klang für mich ein bisschen nach dolce vita, dem süßen Leben. Aber schon im Mietwagenzentrum am Flughafen Lamezia Terme sagten sie: „Riace? Was willst du da?“

Ich fand ein kleines Hotel in der Nähe von Riace mit zwölf Zimmern, Meerblick, einer Bar und einem großen Garten. Die Bilder versprachen eine lebendige Unterkunft mit Gästen aus aller Welt. Ich buchte und fuhr hin. Eine ältere Dame wartete in ihrem Jeep am Fuß einer Anhöhe und bat mich, ihr zu folgen. Fünf Minuten fuhren wir über eine Schotterpiste den Berg hinauf und erreichten ein Haus. „Tutto per te“, rief die Dame, alles für dich. Sie blickte mich zufrieden an.

Die Unterkunft stand komplett leer. Ich bekam einen Generalschlüssel. Ich konnte mir ein Zimmer aussuchen. Aus dem Kühlschrankinhalt konnte ich mir mein Frühstück selbst zusammenstellen. Die Bar gab es nicht. WLAN auch nicht. Der Handyempfang war mies. Einen schönen Tag wünschte mir die Dame, stieg in den Jeep und war weg. Ich sollte anrufen, wenn ich nicht mehr da bin.

300 Quadratmeter für mich allein, im Niemandsland. Die Stille tat anfangs in den Ohren weh. Ich fuhr nach Riace und sprach mit Einwohnern. In der Dunkelheit fuhr ich zu meinem unbeleuchteten Haus. Ich aß zum Frühstück aus dem Kühlschrank und zwischendurch Tiefkühllasagne in Riaces Dorfbar. Ich spazierte am Strand entlang und sah keine Menschenseele.

Die Einwohner verlassen die Region seit Jahrzehnten, wegen hoher Arbeitslosigkeit und wenig Perspektiven. Nach der Festnahme des Bürgermeisters sind auch viele Flüchtlinge aus Riace weggegangen. Sie haben Angst, von der Polizei abgeholt zu werden.

Einmal fuhr ich zum Abendessen ins „Hotel Federica“. Der Speisesaal war riesig und leer, die Tischdecken weiß, das Besteck blank poliert. Wer auch immer da in der Küche war – bei den Rinderfiletspitzen gab er sich größte Mühe. Der einzige Kellner drehte die Musik auf, Mariah Carey. Er stand hinter der Theke und starrte mich an. Falls ich mal Ruhe brauche, komme ich wieder.

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