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Politik - 18.11.2018

Linke rechnen auf Asyl-Konferenz mit Wagenknecht ab

Auf dem Linke-Kongress „Menschlichkeit statt Abschottung“ ging es um Migrationspolitik. Sahra Wagenknechts Äußerungen zu offenen Grenzen bestimmten die Debatten. Nur einer erhebt seine Stimme für ihre Positionen. 0

Auch in Abwesenheit schafft es Sahra Wagenknecht bei der Konferenz „Migration statt Abschottung“, den Raum zu dominieren. „Ich finde es nicht gut, was Sahra da macht“, raunt eine ältere Dame im Publikum ihrer Sitznachbarin zu und erntet ein diskretes Nicken. Schließlich habe Wagenknecht als prominentestes Parteimitglied eine gewisse Verantwortung.

Die Besucherin des Linke-Kongresses „Menschlichkeit statt Abschottung“ bezieht sich auf Wagenknechts Querschüsse in Sachen Asylpolitik. Auf dem letzten Parteitag in Leipzig im vergangenen Sommer nahm die Partei mit großer Mehrheit einen Leitantrag an, in dem offene Grenzen gefordert werden. Wagenknecht findet das „irreal“ und „weltfremd“.

Diese Szene setzt den Grundton für die zweitägige Veranstaltung in Berlin, bei der mit Podiumsdiskussionen und Workshops über „linke Vorschläge für eine solidarische Einwanderungspolitik“ diskutiert werden soll.

Auch Elke Breitenbach findet bei ihrer Eröffnungsrede am Freitagabend deutliche Worte über die rebellische Fraktionsvorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion. „Wir müssen endlich an den Punkt kommen, an dem wir die Parteitagsbeschlüsse, die wir gefasst haben, ernst nehmen“, sagt die Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. „Es ist nicht hinnehmbar, was Sahra Wagenknecht und Freunde da machen!“ Applaus brandet auf.

Breitenbachs Ehemann, der Bundestagsabgeordnete Thomas Nord, ging Anfang November noch weiter: Sollte Wagenknecht weiter versuchen, Parteibeschlüsse infrage zu stellen, werde er die Linksfraktion verlassen, kündigte er an. Seine Entscheidung will er am 10./11. Januar fällen, wenn die Abgeordneten zur Klausursitzung zusammenkommen. Auch Rufe nach einer Neuwahl des Fraktionsvorstandes, dem neben Sahra Wagenknecht auch Dietmar Bartsch angehört, wurden in den vergangenen Wochen immer lauter.

Nach Elke Breitenbach tritt Parteichefin Katja Kipping ans Mikrofon. Dass sie und Wagenknecht einander in Abneigung verbunden sind, ist kein Geheimnis. „Wir können uns vor dieser Welt nicht abschotten“, sagt sie vor etwa 120 Zuhörern im Audimax der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Man könne sie nur gerechter machen. „Wenn wir also über Grenzen diskutieren, dann nicht, wie wir sie schließen oder geschlossen halten, sondern wie wir die Grenzen demokratisieren können.“ Für sie als demokratische Sozialisten sei das auch eine Schlussfolgerung „aus der historischen Erfahrung des Staatssozialismus, der glaubte, auf Dauer hinter Mauern und Stacheldraht überleben zu können“. Den Namen von Wagenknecht auszusprechen, verkniff sie sich.

An der anschließenden Podiumsdiskussion mit Vertretern von Pro Asyl, der Diakonie und dem Bündnis Solidarity Cities nahm mit Bodo Ramelow ein weiterer Wagenknecht-Kritiker teil. Der Ministerpräsident von Thüringen erzählte, wie er zu dem Beinamen „Bahnhofsklatscher“ gekommen sei. Um ankommende Flüchtlinge am Bahnhof vor rechten Demonstrationen abzuschirmen, habe er sich dazu entschlossen, diese persönlich in Empfang zu nehmen, um ein hohes Polizeiaufgebot zu bewirken. Er kritisiert auch die Medien, die Vorbehalte gegen Flüchtlinge schürten: „Hund beißt Flüchtling – kein Bericht. Flüchtling beißt Hund – alle Nachrichten voll.“

Es ist Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhard, der erneut deutlicher wird. „Ich habe ein erhebliches Problem damit, wie darüber diskutiert wird“, sagt er in Bezug auf die Asyldebatte. „Auch von Sahra Wagenknecht.“

Am darauffolgenden Tag sitzt, wie schon am Vortag, Udo Wolf, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, auf dem Podium. „Die Silvesternacht von Köln war der Gamechanger in der Asyldebatte“, sagt er. Das führte zu Sätzen wie: „Wer das Gastrecht missbraucht, muss wieder gehen“ – eine deutliche Anspielung auf Wagenknechts Reaktion auf die damaligen massenhaften sexuellen Übergriffe: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.“

Später verriet Udo Wolf noch Details aus der letzten Fraktionsvorsitzendenkonferenz, bei der man das Vergnügen gehabt habe, das Asylthema mit Sahra Wagenknecht direkt zu diskutieren. „Ihr macht euch lächerlich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, wenn ihr offene Grenzen fordert“, soll sie gesagt haben. Das könne sich der Sozialstaat nicht leisten.

Immerhin ein Kongressteilnehmer springt Wagenknecht bei. Er sehe nicht, wie es auf der Ressourcenebene durchzusetzen sei, wenn „alle kommen“. Die Linke ducke sich weg vor dieser Frage. „Wir sind uns moralisch zu fein, uns damit zu beschäftigen.“ Man könne nicht einfach sagen, dies infrage zu stellen sei menschenrechtswidrig und rassistisch.

Dann wird es skurril. Eine Zuhörerin meldet sich mit einer Forderung zu Wort, die Kopfschütteln auslöst. „Ich bin dafür, dass deutsche Steuerflüchtlinge abgeschoben werden“, sagt sie. „Wenn die Scheiße bauen im Menschenrechtssinn, sollen die sich ein anderes Land suchen, wo sie das machen können.“ Sie meint das ernst. Auf die Frage, wohin sie denn abgeschoben werden sollten, hat sie keine Antwort.

Mitveranstalter des Migrationskongresses ist neben dem Parteivorstand und der Linke-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus auch die Fraktionsvorsitzendenkonferenz der Partei. Dass die Diskussionen ohne die Bundestags-Fraktionsvorsitzende Wagenknecht stattfanden, dürfte auch mit ihrer Doppelrolle als Linke-Funktionärin und Kopf der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zu tun haben. Denn um elf Uhr, eine Stunde nach Eröffnung von Tag zwei des Kongresses, steht eine „Aufstehen“-Kundgebung im entfernten Saarbrücken an. Dort ist sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und Mitstreiter Oskar Lafontaine als Stargast angekündigt.

Schon seit Gründung von „Aufstehen“ wird ihr eine doppelte Loyalität vorgeworfen. Deutlich wurde das auch im Vorfeld der „Unteilbar“-Demonstration Mitte September. Auf einer Konferenz in Berlin, die eigentlich von der Bundestagsfraktion finanziert wurde, aber den Anschein eines Mitgliedertreffens der Sammlungsbewegung erweckte, sagte Wagenknecht die Sätze, die ihre Kritiker endgültig auf die Barrikaden trieb: „Wenn wir über offene Grenzen für alle reden, dann ist es eine Forderung, die die meisten Leute als völlig irreal und weltfremd empfinden und damit ja auch recht haben.“

Damit brachte sie in den vergangenen Monaten praktisch die halbe Partei gegen sich auf, hatte diese auf dem Parteitag in Leipzig im Sommer doch einem entsprechenden Leitantrag mit großer Mehrheit zugestimmt.

Sahra Wagenknechts Stern sinkt. Laut dem Linke-Bundestagsabgeordneten und „Aufstehen“-Anhänger Diether Dehm hat es kürzlich einen – erfolglosen – Abwahlantrag gegen sie gegeben. „Der Landesausschuss der Linke Niedersachsen hat heute mit übergroßer Mehrheit einen Abwahlantrag gegen Sahra Wagenknecht abgelehnt“, schrieb er am 10. November auf Facebook. Die Palastrevolte ist also vorerst aufgeschoben. Dass die Politikerin allerdings noch lange im Amt bleibt, daran glauben viele nicht mehr.

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