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Sport - 02.11.2018

Die Jahre im Wildpark sind vorbei

Der Karlsruher SC verabschiedet sich am Samstag vom Wildparkstadion. Nach 63 Jahren soll eine neue Arena gebaut werden. Eine Erinnerung.

Spiele unter Flutlicht waren für die Anhänger des Karlsruher SC im altehrwürdigen Wildparkstadion besonders schön. Nun sollen die…

Es gibt einen Satz, der sich mir besonders eingeprägt hat. Ein Reporter hat ihn vor vielen Jahren über das Stadion im Karlsruher Hardtwald losgelassen: „Wenn das Flutlicht angeht“, hat er gesagt, „dann brennt der Wildpark.“ Ein schöner Satz, besonders wertvoll im Rückblick auf den Tag genau vor 25 Jahren, als eine aufregende KSC-Elf den spanischen Tabellenführer, der damals FC Valencia hieß, mit 7:0 aus dem Stadion schoss. Was für ein Spiel!

An diesem Samstag tritt der KSC erneut im Wildpark an. In der Dritten Liga und gegen einen Gegner, die Würzburger Kickers, gegen den er früher, als der wuschige Winnie noch regierte, nicht mal Testspiele ausgetragen hätte. Würzburg wird dennoch in Erinnerung bleiben. Nach 63 Jahren wird das Karlsruher Wildparkparkstadion abgerissen. Das Oval, gut begrünt, muss bis 2022 einer neuen Arena weichen. So wollen es die Stadt Karlsruhe und der KSC. Nach Würzburg rollen also die Bagger an, zuerst werden die weit in den Stadthimmel ragenden Flutlichtmasten abgerissen, wuchtige, graue Pfeiler, gehalten von dicken Betonklötzen, bestückt mit so viel Lux, dass sie nachts die halbe Stadt illuminieren. Auch die gewaltige Haupttribüne mit ihren 13 roten Dachträgern wird weichen. Dass der KSC eines Tages tatsächlich ein neues Stadion stemmen würde, glaubte angesichts einer chronischen Veranlagung zum Chaosklub kaum ein Anhänger.

Keine Spur von der Mannschaft – die waren im Wald

Doch nun gehen die Flutlichter wirklich aus – und viele denken zurück, was sie darunter schon so alles erlebt haben. So wie ich und einer meiner besten Freunde. Beim „Wunder vom Wildpark“ war er in der Kurve und schwärmt noch heute vom legendären Vierfachtorschützen „Euro-Eddy“ Schmitt. Dass er damals erst drei Jahre alt war und im Familienblock das Schaukelpferd bespaßte – egal. Er war dabei. Ich nicht.

Ich wurde erst später vom KSC-Virus infiziert, als es bergab ging mit diesem Klub. Interessiert hätte mich dieses größte Uefa-Cup-Spiel aller Zeiten gewiss schon. Aber anders als die Mutter meines Kumpels liebte meine den Fußball im Allgemeinen so sehr wie ein Rudel Küchenschaben. Jedenfalls fand ich erst in den Wildpark als die Vorbereitung auf die Saison 1997/1998 lief – und meine Fußballkarriere soeben anfing. Ich war an der F2-Jugend-Meisterschaft meines Dorfvereins maßgeblich beteiligt, zur Belohnung durften wir beim KSC-Training vorbeischauen. Die Aufregung war groß, die Enttäuschung noch größer, weil Winnie die Stars um Icke Häßler zum Laufen in den Wald geschickt hatte.

Fotos mit Keeper Reitmaier, der immer ein bisschen wie ein Kohlenkumpel aussah, und Torkrokodil Dundee retteten diesen missglückten Ausflug noch, die Saison leider nicht. Der KSC stieg ab, als ich richtig einstieg.

Es folgten Jahre der Ausbeutung im Wildpark. Fan dieses Klubs zu sein, kostete Nerven in ungeahnter Höhe. Geschenkt bekam ich im Fanblock D1 nur Bierduschen, wenn der KSC seltenerweise mal ins Tor traf. Während Winnie („Heute beginnt ein neues Zeitalter“) Mitte der 90er Jahre noch die Vision „KSC 2000“ verbreitet hatte, die den Klub auf einer Stufe mit Bayern und Dortmund sah, rauschte der KSC mit Beginn des neuen Jahrtausends in Liga drei.

Faszination Krawall

So oft es ging, fuhr ich trotzdem in den Wildpark raus. Nicht wegen des Teams, das war, abgesehen von Aydin Cetin, wirklich bieder. Es war die Zeit der Fußballarbeiter, sie hießen Torsten Kracht, Werner Heinzen oder Daniel Graf. Kämpfer, keine Künstler. Vielmehr zog mich die krawallige Stimmung an. Warum, begriff ich erst, nachdem ich Elias Canetti gelesen hatte.

Der Schriftsteller schrieb 1960 ein Buch über „Masse und Macht“ und nannte dies praktischerweise auch so. Es ist immer noch aktuell.

Canetti beschreibt, wie Menschenmassen wirken, ein durchaus bemerkenswertes Phänomen, im Guten wie im Schlechten. Fußballstadien und deren Besucher widmete Canetti – der zeitweise nahe des alten Wiener Rapid-Stadions „Pfarrwiese“ lebte, aber nie im Verdacht stand, ein Fußballanhänger zu sein – auch ein paar Zeilen. „Die Triumphrufe galten einem Tor“, notierte Canetti. Raunen, Beifall, Aufschreie, rhythmisches Klatschen habe er zudem vernommen. Die typischen Klänge eben, wenn Trommeln schlagen, Hände klatschen, Pfiffe gellen. Ein faszinierendes Szenario, immer wieder.

Das war auch im Wildpark so, obschon er in den vergangenen Jahren arg in Verruf geriet. Während andernorts die Stadien modernisiert wurden, blieb in Karlsruhe alles beim Alten. Mal beschwerten sich die Fans über zu viel Wind, mal über zu viel Regen. Mal war es viel zu heiß und im Winter stets zu kalt. Regnete es, wurden die Sitze in den Kurven nass, der darunter befindliche Sandboden verwandelte sich in Matsch. Einmal, der 1. FC Kaiserslautern gastierte zum Südwest-Derby, windete es dermaßen, dass die Flutlichtmasten tanzten. Eine eher beunruhigende Beobachtung war das. Schlussendlich wurden nur ein paar Autos demoliert, weil die Bäume rund ums Stadion wie Klappstühle einknickten. Und dann war da noch die Laufbahn zwischen Rasen und Tribüne. Viel zu weit sei man vom Spielfeld weg, ätzten die Schlaumeier. Wohl fühlten sich dafür die Rollstuhlfahrer, die eine außerordentlich großzügige Fläche einnehmen konnten.

Eine Mischung aus Retro und Ranz

Was tatsächlich nervte, war der Mangel an Toilettenhäuschen und Imbissständen. Den männlichen Fans schien die Pissrinne, die auch das Aroma einer solchen verströmte, hinterm Fanblock aber auszureichen.

Schön retro sah die Gegentribüne aus, gerade mit ihren alten Holzbänken im oberen Teil und einem Dach, das die gesamte Konstruktion wie die Tribüne einer alten Pferderennbahn aussehen ließ. Dass der Gästefanblock direkt an den Stehbereich der Heimfans angrenzt, ist eine ganz spezielle Pointe, besonders weil die KSC-Fans, soweit ich mich erinnere, allzu oft den Gästen beim Feiern zuschauen mussten. Hatte ich die goldenen Zeiten knapp verpasst, besuchte ich die richtig bitteren Spiele dafür umso häufiger. 2009, gegen Hertha, Abstieg in Liga zwei. 2012, Relegation gegen Regensburg, Abstieg in Liga drei. 2015, wieder Relegation, diesmal Hamburg. Tomorrow, my friend, sagte Diaz. Und erneut musste der Wildpark leiden.

Ein paar schöne Erinnerungen bleiben dennoch hängen. Porcellos Freistoßtor aus 45 Metern oder Hajnals Siegtreffer gegen den VfB.

Nur einmal habe ich weder Freude noch Trauer verspürt, sondern schlicht Leere. Es war 2008, als der Kölner Ümit Özat auf dem Platz zusammenbrach und liegen blieb. Da regte sich niemand im Wildpark. Ein unheimliches Schweigen, lang und schaurig. Dann kam die Entwarnung. Özat hatte überlebt. Und der Wildpark brannte wieder.

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