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Sport - 17.01.2019

Warum wir Deutschen so gern Wintersport schauen

Von früh bis spät senden ARD oder ZDF an jedem Wochenende der kalten Jahreszeit Wintersport. Das ist extrem erfolgreich, sagt aber auch einiges über uns als Fernsehzuschauer aus.

Näher dran geht kaum. Das Fernsehen ist beim Wintersport immer dabei.

Es ist wieder ein wilder Ritt an diesem Wochenende. Zwischen Sapporo und St. Moritz, zwischen Antholz und Kitzbühel, zwischen Winterberg und Oberstdorf – es geht hin und her und kreuz und quer von einem Wintersport zum nächsten. Vom Skispringen zum Super-G der Frauen, vom Biathlon zur Streif-Abfahrt der Männer, vom Rodeln zum Bobfahren und wieder zurück. Zwischendurch gibt es noch die Nordische Kombination oder einen Abstecher zur Freestyle-WM. Hintereinander weg, ohne Pause.

Das ZDF sendet an diesem Wochenende fast 16 Stunden Wintersport. Neun am Samstag, knapp sieben am Sonntag. Genauso hat es die ARD vor einer Woche getan, und das ZDF vor zwei Wochen, und so weiter. Seit November. Aber besonders im Januar, während der Fußball pausiert, ziehen die Wintersport-Übertragungen richtig an. Und die Deutschen ziehen mit. An den vergangenen zwei Wochenenden schauten von morgens bis nachmittags rund elf Millionen Menschen Wintersport. Etwa doppelt so viele Leute, wie in Berlin und Brandenburg leben.

An den beiden Samstagen waren es jeweils mehr als zwei Millionen, an den Sonntagen sogar fast 3,5 Millionen TV-Zuschauer, die konstant alles guckten. In der Spitze schalteten beim Biathlon mehr als fünf Millionen ein. Und an diesem Wochenende werden es wieder ähnlich viele sein. Der Marktanteil dieser ellenlangen Wintersportsendungen liegt bei über 20 Prozent, mehr als fünf Prozent über dem Senderdurchschnitt. Haben wir eigentlich nichts Besseres zu tun?

Warum schauen wir Deutschen so gern Wintersport? Wieso verbringen so viele so viel Zeit damit, Athleten dabei zuzusehen, wie sie Pisten herunterdonnern, von Schanzen springen und durch Eiskanäle rasen? Und was sagt das über uns Wintersport-Gucker aus? Einiges! Und nicht alle Antworten dürften uns gefallen.

Die Wettbewerbe sind leicht verständlich, die Deutschen erfolgreich

Bei der Frage nach dem Warum können die Verantwortlichen von ARD und ZDF sofort eine ganze Liste von Gründen aufzählen. „Wintersport ist so beliebt, weil viele Sportarten besonders fernsehtauglich sind“, sagt Peter Leissl, der beim ZDF bis vor kurzem die Sport-Extra-Sendungen am Wochenende koordinierte. Die Wettbewerbe seien meist leicht verständlich, die Deutschen meist erfolgreich. „Es ist einfach gutes Entertainment plus schöne touristische Landschaftsbilder.“ Und der ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky betont: „Alle Wintersportarten werden in Schnee und Eis ausgetragen, das verbindet sie.“ Außerdem schauen die Menschen im Winter grundsätzlich mehr fern, jahreszeitenbedingt.

Doch allein am grauen ungemütlichen Wetter in Deutschland und den pittoresken Fernsehbildern von schneebedeckten Bergen im Hintergrund der Wettkämpfe kann es nicht liegen, dass wir Deutschen im Wohnzimmer ständig Wintersport gucken. Schöne Bilder liefern auch Tierdokumentationen oder Reisereportagen. Also kommen wir mal zu den unangenehmen Antworten.

Wir haben offensichtlich an den Winterwochenenden zu viel Zeit, findet der Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette. Und wir wissen nicht, was wir damit anfangen sollen. Unser Alltag ist dann ziemlich langweilig. Und wir wollen wenigstens ein bisschen Ablenkung davon, zu aufregend darf es aber auch nicht sein. Bette erklärt die Faszination der Deutschen für den Wintersport damit, dass viele von uns mit „harmlosen Themen Spannung erleben wollen“. Der Wintersport sei dafür ideal. „Er lebt von einer gewissen Gemächlichkeit“, betont der Professor von der Technischen Universität Darmstadt. So viel passiert während der meisten Wintersport-Wettkämpfe gar nicht. Die Ereignisse überschlagen sich nicht. Es springt immer nur ein Skispringer, dann erst der nächste. Schön nacheinander. Genauso ist es bei den Skifahrern, den Rodlern, den Bobpiloten. Beim Biathlon schießen die Athleten auch nicht alle Scheiben auf einmal weg, alles schön nacheinander.

Der Wintersport versteht es bestens, eine gemächliche Spannung zu liefern

Der Wintersport versteht es bestens, eine gemächliche Spannung zu liefern – er ist ja auch nicht so konfliktbeladen wie Fußball oder andere Teamsportarten, wo ständig gefoult, gepfiffen und lamentiert wird. Selten kommt es zu direkten Duellen. Der Wintersport ermöglicht uns ein kontrolliertes Mitfiebern. Mal ehrlich, wenn ein Biathlet sein Ziel verfehlt, ärgert uns das nicht so sehr wie wenn ein Fußballer den Elfmeter für den Lieblingsklub danebenschießt. Zudem wissen wir, in irgendeiner Wintersportart wird schon ein Deutscher gewinnen. Ein bisschen Erfolg und ein bisschen Jubeln sind also garantiert. Und wir bekommen Struktur in den Alltag, auch am Wochenende. So wie wir von Montag bis Freitag wissen, wann wir zur Arbeit gehen müssen, wissen wir am Samstag und Sonntag: mittags läuft Biathlon. Garantiert.

Bette hat noch einen weiteren Grund für unsere Wintersport-Fernsehleidenschaft ausgemacht: die Idee der nationalen Färbung. „Es gibt keine Vereinskonkurrenzen, der Athlet tritt immer für sein Land an“, betont er. Dieser Nationalmannschaftsgedanke bindet geschickt alle Deutschen ein und erleichtert es, sich mit den Sportlern zu identifizieren. Egal ob sie aus Bayern, Thüringen oder Sachsen kommen. Überhaupt sind uns die Skispringer, Rodler und Biathleten so sympathisch, weil viele von uns es einfach nicht zu abgedreht und glitzernd wollen, nicht zu abgehoben und tätowiert wie all die Fußballstars. Die bodenständigen Wintersportler aus der Provinz kommen uns da gerade recht.

Unsere Vorliebe dafür, an den Wochenenden von Antholz bis St. Moritz alles zu verfolgen, zeigt also: wir Wintersport-Gucker sind ziemlich langweilige routinesuchende Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihrer vielen Zeit. So schauen wir dann Leuten, die genauso unglamourös sind wie wir, dabei zu, wie sie nacheinander etwas Ungewöhnliches in schöner Winter-Landlust-Umgebung tun. Und daran dürfte sich wenig ändern. Die beiden Experten von ARD und ZDF gehen jedenfalls davon aus, dass die Einschaltquoten auf dem hohen Niveau bleiben werden.

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