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Wissen - 03.11.2018

„Die besten Schulen sind oft an den verrufensten Standorten“

In Bremen haben Fachleute aus aller Welt über Bildung der Zukunft diskutiert. Mitorganisatorin Yasemin Karakasoglu über die nationale Schule als Auslaufmodell.

In Bremen können sich ehemals verrufene Schulstandorte sich heute vor Anmeldewünschen kaum retten.

„Failing Identities, Schools and Migrations“ hieß Ihr Kongress über – Untertitel – das „Lehren in (trans-)nationalen Beziehungen“. Was nennen Sie da gescheitert: nur „Identitäten“ oder auch Schule und Migration? 

Gute Frage. Wir haben, ausgehend von den „failing states“, scheiternden Staaten, etwas mit dem Begriff gespielt und meinen im Grunde alle drei. Womit nicht gesagt sein soll, dass die Schülerinnen und Schüler oder ihre Migrationsgeschichte scheitern, sondern die Art, wie die Schule mit Migration umgeht als etwas, das die Gesellschaft grundlegend verändert. Wie sie den Menschen gegenübertritt. Und was mit dem Bildungsziel geschieht, dem sie verpflichtet ist. 

Und warum wollten Sie einen internationalen Kongress? Lässt sich Schule denn global diskutieren? Die Bedingungen sind doch oft Welten voneinander entfernt. 

Leider wird Schule noch kaum global in den Blick genommen. Dabei könnten die Schulen bei uns im Norden vom Weltsüden lernen. Afrikanische und asiatische Länder haben Erfahrung mit viel mehr Migration, zudem haben viele deutlich mehr als eine Landessprache, also auch ohne Migranten eine eigene Praxis der Mehrsprachigkeit.  Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass wir in Kooperation mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus Oldenburg hier in Bremen als erste eine solche wissenschaftliche Konferenz zur Lehrerbildung in der Migrationsgesellschaft zustande gebracht haben. Wir hatten 230 Fachleute aus zwölf Ländern zu Gast, neben uns Deutschen waren Kolleginnen und Kollegen aus Japan, Island, Israel, Großbritannien, der Schweiz, Österreich, Chile, den USA, Griechenland, Norwegen und Iran dabei. Spannend und neu war auch, dass wir das interdisziplinär anlegen konnten: Wir aus der Erziehungswissenschaft haben Expertinnen und Experten aus Migrationsforschung, Psychologie und Soziologie gehört. Diesen Impuls wollen wir auch durch einen Tagungsband weitergeben, der im nächsten Jahr erscheinen wird.  

Yasemin Karakasoglu

 

Zurück zum Begriff des Scheiterns, den Sie in den Titel der Veranstaltung nahmen. Was meinen Sie konkret? 

Schule tut in Deutschland das, was auch die Gesellschaft als ganze tut: Sie stellt in ihren Angeboten und Inhalten stets Menschen mit Migrationserfahrung denen ohne diese Geschichte gegenüber. Die Rede von einer Mehrheitsgesellschaft, die als gemeinsames Merkmal das „Deutschsein“ verbindet, und den Zugewanderten als Minderheiten ist weit verbreitet. Die mehrsprachigen, mobilen, auf mehr als einen nationalen Kontext bezogenen Kinder und Jugendlichen sind in dieses Schema kaum einzuordnen. Zudem werden sie überwiegend als  Problem oder, netter ausgedrückt als „Herausforderung“ angesehen. Das spiegelt sich in Lehrmaterialien ebenso wie in den Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern. Das Merkmal Migration wird als kollektive Zuschreibung in einer Weise verwendet, die einer Art „Ethnie“ oder gar „Rasse“ gleichkommt. Jemand, der etwa nicht mit Deutsch als Erstsprache aufwächst oder ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommt, wird fast ausschließlich über seine oder ihre fehlenden oder nicht ausreichenden Deutschkenntnisse wahrgenommen und Sonderbeschulungsmaßnahmen unterzogen. Die fördern aber kaum ein Zugehörigkeitsgefühl. 

Bestreiten Sie, dass Deutsch die Voraussetzung ist, um in einer deutschen Schule Erfolg zu haben? 

Natürlich nicht. Aber ich bestreite, dass der Spracherwerb ein Mittel sein darf, zugewanderten Kindern klarzumachen, dass sie nicht auf der Höhe sind und man sie erst einmal fit machen müsse.  Statt zu sagen: Das sind die Kinder, mit denen wir umzugehen haben. Die Schülerinnen bringen vielleicht großes Wissen in Fächern wie Mathematik oder Biologie mit. Das getrennte Deutschlernen hält sie aber vom Fachunterricht ab und lässt sie womöglich irgendwann den Anschluss verpassen. Dieses Beharren auf Deutsch als Voraussetzung für den Zugang zu Bildung macht die Schule zu einem Ort, wo es nicht mehr um breite Bildung geht. Menschen werden stattdessen durch das Nadelöhr des Deutscherwerbs geschickt. Warum nicht parallel zum Deutschspracherwerb das Lernen im Fach in den Herkunftssprachen ermöglichen? Fachmaterial ist schließlich auch übers Internet zugänglich. Mit dieser Art von Unterricht unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit müssten professionelle Lehrkräfte umgehen können. Wenn aber jetzt vor allem seiteneinsteigende Lehrkräfte zur Beschulung der Neu-Zugewanderten eingesetzt werden, sehe ich da ein Problem auf uns zukommen. 

Die Seiteneinsteiger im Lehrerzimmer könnten doch auch eine Chance für eine andere Schule werden? 

Sicher. Aber dann müsste man ihnen viel Zeit zur Professionalisierung im Job und begleitend durch Fortbildungen geben. Man könnte zuerst mit ihnen einen Ausbau des Teamteachings beginnen, was sowieso eine ausgezeichnete Lösung wäre, um den Unterricht nicht von einer Person, deren Sympathien, Lehrstil, Hintergrund abhängig zu machen und um engen Austausch zwischen den Lehrern zu ermöglichen. Aber die Seiteneinsteiger werden ja gebraucht, weil die Lücken für den Unterricht mit einer Lehrperson gefüllt werden müssen. Sie bleiben so allein mit einer Herausforderung, die sie häufig nicht kennen: die zunehmende Heterogenität der Schüler und Schülerinnen. 

Sie erwähnten neben Unterrichtsmaterialien, die nicht auf der Höhe diverser Gesellschaften sind, auch die Einstellungen von Lehrkräften. Was kritisieren Sie? 

Schule ist sehr widerständig. Wir können sehr viel ändern in der Lehrerausbildung. Aber die moderne Ausbildung nutzt wenig, wenn die jungen Leute dann in Lehrerzimmer kommen, in denen ein Klima der Abwehr und der Überforderung durch migrationsgesellschaftliche Bedingungen herrscht und sie irgendwann gezwungen sind, dort herrschende Stereotypen und Denkweisen anzunehmen. Das ist ein Prozess, der extrem schwer zu durchbrechen ist. Das gehört zur Schule dazu: eine merkwürdige Deprofessionalisierung durch Anpassung an einen Common Sense, der aber wiederum aus dem politischen Klima der Gesellschaft außerhalb der Schule kommt. Schule ist kein Reparaturbetrieb der Gesellschaft, sondern vielmehr ein Ort, an dem sich Politik auswirkt, wo sie sich auch wie im Brennglas zeigt. Andererseits sind Lehrer aber nicht hilflos und können etwas tun, damit ihr Alltag zu ihrem Bildungsauftrag passt. 

Was lässt sich tun? 

Etwas furchtbar Unoriginelles, das die Bildungsforschung seit Jahren fordert: Eben das bereits genannte Teamteaching. Mehrere Lehrende in einer Klasse, die sich gegenseitig ausgleichen, korrigieren, ergänzen. Und Lehrerinnen brauchen Unterstützung bei der Reflexion ihres tagtäglichen Erlebens und Handelns, durch Freiräume, in denen sie verstehen können, was sie tun und warum, durch Supervision, die am besten Fachleute von außerhalb übernehmen. Das kann nicht die Vorgesetzte machen oder der Kollege, mit dem man sich sowieso nicht gut versteht. So etwas brauchen alle Lehrenden, auch solche mit eigenem „Migrationshintergrund“ oder People of Colour. Die haben schließlich nicht von vornherein das, was man gemeinhin interkulturelle Kompetenz nennt, aber eigentlich eine Sensibilität für Differenz und eine kritische Haltung zu Diskriminierung und Rassismus ist. Zudem ist wichtig, dass sie nicht nur aufgrund ihrer Biografie einfach die Rolle von  Migrantenexperten zugewiesen bekommen wollen und letztlich auch selbst häufig Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung machen. Alle im System Schule sind verstrickt. Schule ist ein politischer Ort, kein neutraler, kann und soll es auch nicht sein. Deshalb ist die Forderung der AfD absurd, Lehrer und Lehrerinnen sollten sich neutral verhalten. Sie sollen die, die Ihnen anvertraut sind, nicht mit ihrer persönlichen politischen Meinung überwältigen, aber als politisch denkende und handelnde Personen sollen sie durchaus erkennbar bleiben. 

Alle in der Schule sind verstrickt, sagten Sie. In was? 

In Verhältnisse von Macht und Hierarchie, die maßgeblich geprägt sind von nationalen Sichtweisen. Das ist im Übrigen ein weltweites Phänomen. Ein Kollege aus der Türkei hat beim Kongress berichtet, welch stereotype, ja rassistische Vorstellungen viele Lehrer in der Türkei von ihren syrischen Schülerinnen und Schülern haben. Dahinter steckt ein tiefwurzelndes Vorurteil in der türkischen Gesellschaft gegenüber Arabern. Auch in Japan – einem Land, das sich selbst als ethnisch weitgehend homogen versteht – muss man sich zunehmend mit der Bedeutung von Zuwanderung für das Selbstverständnis des nationalen Bildungssystems auseinandersetzen. Eine japanische Wissenschaftlerin berichtete darüber, dass an japanischen Schulen Kinder aus anderen asiatischen Ländern wie China, Indonesien, den Philippinen oder Korea als ebenso fremd wahrgenommen werden wie hierzulande Kinder aus türkischen und arabischen Familien. Sprachlich wie religiös. Überall in der Welt beobachten wir, dass die nationale Schule sich an einen zunehmend vielfältigeren Adressatenkreis wendet, der sich in ihren nationalen Lehrplänen nicht wiederfindet. 

Sie nannten als Baustellen eines modernen Bildungssystems die Lehrerkollegien, die Politik, die Lehrpläne und –materialien. Was ist mit den Eltern? 

Das war beim Kongress nicht unser Thema, im Mittelpunkt stand die Rolle der Lehrkräfte und Ergebnisse der Lehrerbildungsforschung. 

Sie sind aber doch Akteure mit Gewicht. Die Flucht bildungsorientierter Mittelschichtseltern aus so genannten Brennpunktschulen ist seit vielen Jahren ein Problem. Wie würden Sie auf das verbreitete Argument reagieren, die multikulturelle Schule vernachlässige Lernen und Bildung, „Leistung“?  

Ich würde es zunächst einmal ernst nehmen. Es gibt schließlich dieses Bild von ethnischer Zugehörigkeit, wie sie bis 2000 auch unser Staatsangehörigkeitsgesetz bestimmt hat, und das seine Wurzeln im Nationalsozialismus hat. Wer jahrzehntelang mit dieser Gewissheit aufgewachsen ist, es gebe so etwas wie die selbstverständlich Zugehörigen, die deutsche Mehrheit und dann die Anderen, die Zugewanderten, denen man etwas gewährt, gestattet, die eine Bringschuld haben und froh sein dürfen, überhaupt hier zu sein, für die oder den ist es schwer, von jetzt auf gleich Pluralität im Klassenzimmer als Normalfall zu akzeptieren. Die Pisa-Studien haben  in sehr verkürzter Weise herausgestellt, dass der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund Einfluss auf die Leistung der ganzen Klasse hat. Das hat die  Abstiegsangst der Mittelschicht noch verstärkt. Dabei unterstelle ich natürlich den Pisa-Verantwortlichen keine Absicht. Das hat eine Eigendynamik bekommen – auch medial unterstützt. 

Und dann? 

Dann würde ich als erstes „Brennpunktschule“ aus dem Wörterbuch streichen. Das klingt wie eine öffentliche Gefahr, ein Ort, an dem „es brennt“. Eltern und Kinder sind aber nicht Zündstoff, sondern Menschen. Und sie haben sich nicht dafür entschieden, in den Gegenden zu leben, die als Ränder der Gesellschaft gelten. Zweitens muss die öffentliche Schule so gut und attraktiv werden wie nur möglich. Das ist kein Wolkenkuckucksheim, es geschieht bereits. Sehen Sie sich die Gewinnerinnen des Deutschen Schulpreises an. Als beste Schulen werden da häufig genau die großartigen Schulen ausgezeichnet, von denen man es – aufgrund ihrer Zusammensetzung von Schülern und Schülerinnen und ihrer Lage – am wenigsten erwarten würde. 

Und wie gelingt das? 

Mit Programmen, die für alle attraktiv sind, auch für die berühmten Mittelschichtseltern, die die Schulen so umwerben. Mathe-Olympiaden, Kooperationen mit den Unis, Mehrsprachigkeit, die – neben den üblichen und mit Prestige ausgestatteten Sprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch, neuerdings auch Chinesisch – auch Einwanderersprachen einbezieht. Ein spezifisches Fachprofil hilft, sei es naturwissenschaftlich oder musisch, ein vorbildlich ausgestattetes Schulgebäude mit Räumen zum Lernen und Entspannen, reformpädagogische Ansätze ebenso. Das alles zieht auch Mittelschichtseltern an, mit und ohne sogenannten Migrationshintergrund. Und das funktioniert – etwa in Bremen, wo ehemals verrufene Schulstandorte sich heute vor Anmeldewünschen kaum retten können, etwa die Gesamtschule Ost, die auf ihrem Campus den Probenraum der weltbekannten Deutschen Kammerphilharmonie Bremen beherbergt und eng mit den Musikern zusammenarbeitet. Wir brauchen zudem attraktive bilinguale Schulangebote über die ganze Schullandschaft hinweg, also Deutsch-Englisch nicht nur an Gymnasien, sondern auch an Ober- oder Sekundarschulen. Und an einem altsprachlichen Gymnasium neben Latein und Griechisch auch Arabisch anzubieten, wäre doch im Verständnis klassischer Bildung eine logische Ergänzung. Außerdem brauchen diese Schulen die besten Lehrkräfte. 

Warum fallen Programm und Klientel der Schule so auseinander – oder, wie Sie es ausdrückten: Warum verhält sich Schule so „widerständig“ gegen eine postnationale Welt? 

Weil sie überall in der Zeit der Nationalstaaten einen besonderen politischen Auftrag hatte, nämlich die Nation erst herzustellen oder zu festigen. Sie sollte die Schule der Nation sein. Vor allem die staatliche Schule sollte nationale Bindung und Zugehörigkeit vermitteln. Die deutsche Schule galt als unverrückbares Faktum, an das sich alle Neuen anzupassen hatten. Mit diesem Konzept muss sie ebenso zwangsläufig scheitern, wie auch der ethnisch definierte Nationalstaat ein „failing state“ geworden ist. Weil er nicht mehr der Realität seiner Bürger entspricht, verliert er zunehmend seine Legitimität. Mit dieser Geschichte der deutschen Schule ist es beinahe etwas widersinnig, heute von ihr zu verlangen, dass sie sich auf eine transnationale Wirklichkeit einstellt und sich mit ihrer Funktion in Vergangenheit und Gegenwart kritisch auseinandersetzt. Wir tun es aber trotzdem. 

Weil Sie sie nach wie vor als wichtig ansehen? 

Unbedingt. Schule ist vor allem die Schule der Demokratie. Sie muss die Menschen in die Lage versetzen, ihren Beitrag zu leisten, damit eine pluralistische Demokratie funktioniert und die Gesellschaft zusammenhält. In einer zunehmend global vernetzen Welt, mit Menschen, die durch viele transnationale biografische wie Alltagsbezüge in ihrem täglichen Leben geprägt sind, kann der allgegenwärtige Bezug auf das Nationale so nicht mehr klappen. Das muss aufgebrochen werden. Als ich zur Schule ging, war die Eroberung Amerikas ein großer Coup, etwas grausam vielleicht, okay, aber zivilisatorisch sinnvoll, die Entdeckung einer neuen Welt, der Beginn der Neuzeit. Gleichzeitig tobte in Spanien die Reconquista, zutiefst zivilisationsfeindlich mit ihren Massakern an Juden und Muslimen. So, mit diesem Überlegenheitsgefühl, lässt sich Geschichte heute nicht mehr erzählen. Es gibt Ansätze, das in postkolonialer Perspektive aufzubrechen, aber die sind noch nicht common sense. Wir müssen in der Lage sein, unsere tiefsitzenden Stereotypen und Rassismen zu entdecken und uns mit ihnen auseinandersetzen. Sie werden im Alltag wirksam, weil wir – wir alle! – sie einfach nicht bemerken, so selbstverständlich sind sie. Eine ganz andere Zusammensetzung der Gesellschaft fordert das ebenso von uns wie grundlegend menschenrechtliche Verpflichtungen. Die Politik hilft leider nicht, weil sie das Ringen um eine neue Zugehörigkeit in der Gesellschaft eher polarisierend begleitet, ja sogar unverantwortlich zündelnd. Auch Sie in den Medien. 

Zugehörigkeit oder auch: Identität. Das war im Programm Ihres Kongresses ein Schlüsselwort. Warum? Identität ist doch eher die Feindin der Multikulturalität? 

Das haben wir bewusst als Provokation gedacht. Wir wollten Reibung erzeugen, das Nachdenken über Identitätszuschreibungen einerseits und Identitätsansprüche andererseits anregen. Der Identitätsbegriff ist tatsächlich nicht hilfreich, ja gefährlich, wenn er kulturalisiert und essentialisiert wird, wenn er gar auf Nationen bezogen wird. So kommt es zu der Vorstellung, es gebe eine klar beschreibbare nationale deutsche, türkische, japanische Identität, die zugrunde ginge, wenn zu viele andere kommen. Identität ist individuell vielschichtig und wandelbar, niemand will auf einen einzelnen Aspekt seiner persönlichen Identität festgelegt werden. Als kollektive Identität funktioniert sie vor allem über die Abgrenzung gegenüber anderen Kollektiven, ja deren Abwertung. Wie demokratiefeindlich das ist, können wir an den Identitätspolitiken der neuen Rechten weltweit sehen.  

Aber individuell ist Identität in Ordnung? 

Als selbstbestimmter Bezug zu einer Region, zu einem Land, einer Religion oder auch Lebensform? Natürlich. Ich kann immer noch sagen: Ich bin Rheinländerin in Berlin. Oder ich bin in einer türkischen Familie aufgewachsen, und das spielt eine Rolle für mich. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn ich in meinem ganzen Sein darauf festgelegt werde: „Sie als Türkin…“ Die Realität für alle sind doch Mehrfachidentitäten. Die selbst- und verantwortungsbewusst in ein Gemeinwesen einzubringen, dazu sollte Schule in der Migrationsgesellschaft ihren Beitrag leisten.

Yasemin Karakasoglu ist Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Bremen und leitet dort den Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung. Seit Oktober ist sie Vorsitzende des Rats für Migration, eines Zusammenschlusses von bundesweit etwa 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich in unterschiedlichen Disziplinen mit Migration und Integration beschäftigen. Bis 2017 war Karakasoglu Konrektorin der Uni für Internationales und Diversität.

 

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